Couchpotatoes im Speckmantel

Noch nie gab es im deutschen Fernsehen so viele Kochshows wie heute. Doch die wenigsten Zuschauer lockt es selbst an den Herd. Daher folgt auf Betroffenheitspop nun Betroffenheitskochen. Und Johann Lafer ist der Herbert Grönemeyer der Küche

Alfredissimo“: Alfred Biolek; Sa., 13.30 Uhr, ARD „ARD-Buffet“: Jacqueline Amirfallah, Vincent Klink, Otto Koch, Iris Precht-Hallè; Mo.–Fr., 12.15 Uhr, ARD „Jamie at home“ / „Oliver’s Twist“: Jamie Oliver; Sa., 12.25 bzw. 12.55 Uhr, RTL 2 „Kerner kocht“: alle üblichen Verdächtigen, Auslaufmodell; wieder ab 18. 1., 23 Uhr, ZDF „Kocharena“: Steffen Henssler, Johann Lafer, Kolja Kleeberg, Tim Mälzer u. a.; wieder ab 27. 1., 20.15 Uhr, VOX „Die Kochprofis“: Martin Baudrexel, Mario Kotaska, Stefan Marquard, Ralf Zacherl; Sa., 10.55 Uhr, RTL 2 „Die Küchenschlacht(neu): Horst Lichter; Start: 14. 1., Mo.–Fr., 14.15 Uhr, ZDF „Lafer!, Lichter!, Lecker!“: Johann Lafer, Horst Lichter; Sa., 16.15 Uhr, ZDF JUR

VON JAKOB SCHRENK

Johann Lafer ist vermutlich der letzte Mensch, der noch an die pädagogische Kraft des Fernsehens glaubt. Nicht aus Eitelkeit oder für sechsstellige Summen hetzt er von SWR zu ZDF und NTV, so versichert er immer wieder in Interviews, nein, er will den Menschen da draußen ganz einfach helfen: „Eine ganze Generation weiß nicht mehr, wie gekocht wird. Wir TV-Köche sind die Hüter der Überlieferung.“

Diese ungeheure Verantwortung drückt Lafer mittels einer exakten Performance aus. Er verneigt sich vor der Tradition und schlägt mit stets pathologisch gesenktem Kopf sein Joghurt- Minze-Dressing, laut und hektisch, denn er hat es eilig, es gibt noch so viel zu tun. Ist die Sauce dann endlich fertig, schiebt sich Lafer einen gut gefüllten Löffel in den Mund, schmatzt „mhmmschmecktlecker!“ und starrt anschließend, so will es das Ritual, zwei Sekunden aufmunternd in die Kamera. „Das könnt ihr auch“, soll das bedeuten. „Fangt endlich an!“

Noch nie wurde im deutschen Fernsehen so viel gekocht: Über 50 Sendungen waren 2007 jede Woche zu sehen, in den Studios geben sich Tim Mälzer, Sarah Wiener oder Ralf Zacherl den Löffel in die Hand. Doch zum Erstaunen der Soziologen erzeugt die medial-kulinarische Gleichschaltung nicht den erwarteten Effekt: Die Deutschen kochen nicht mehr, sondern immer weniger, durchschnittlich nur noch an jeden dritten Tag; gerade einmal eine halbe Stunde Zeit nehmen sie sich zum Erzeugen und Verspeisen der drei täglichen Mahlzeiten.

Kochmuffel vor der Kiste

Womöglich hängt dieser kulturelle Niedergang sogar direkt mit der Arbeit von Kochvater Johann und Kollegen zusammen. „Wir schauen Kochsendungen, um nicht mehr selbst kochen zu müssen“, erklärt der Kulturwissenschaftler Robert Pfaller und prägt in Abgrenzung zum Mitmachwahn im Web 2.0 oder beim Call-in-TV den Begriff der „Interpassivität“. - „Kochen dient vielen Menschen zur Erholung. Interpassives Verhalten besteht nun darin, diese Erholung an den Fernseher zu delegieren.“

Kantine, Home-Service und Formfleisch: Um satt zu werden, müssen wir keine Knochen mehr rösten, sondern die Kühlschranktür oder das Handy aufklappen. Das Kochen wird vom Zwang der Kalorienproduktion entlastet, entfernt sich immer mehr aus dem Alltag, wird zu einem Hobby, einer zwecklosen Liebhaberei, die wir staunend im Fernsehen betrachten und selbst nur noch an hohen Feiertagen ausüben. Inspiriert vom TV-Koch werkeln dann sogar oft Männer am freistehenden Induktionsherd, wie der Soziologe Jean-Claude Kaufmann beobachtet hat: „Sie sperren sich in der Küche ein, kochen ein Meisterwerk, über das sie sich ausführlich auslassen. Am Ende erwarten sie, dass man sie lobt.“

Auch die Bild-Zeitung unterstützt den Trend zum Kochfreak. Das Blatt fordert seine Leser auf, ein „witziges Kochvideo“ aufzunehmen, der Gewinner bekommt eine Einladung zu „Kochen bei Kerner“. „Ich ahne jetzt schon, was die Leute alles anstellen werden, um dabei zu sein“, freut sich Bild-Chef Kai Diekmann auf intellektuelle Höchstleistungen: „Sie werde auf der Zugspitze kochen, unter Wasser, auf der Kühlerhaube oder einfach ganz nackt.“

Komponisten, Schriftsteller und Bildhauer galten lange Zeit als Handwerker und Dienstleister und wurden erst im 18. und 19. Jahrhundert zu genialen Künstlern geadelt. Mit 200 Jahren Verspätung machen die Köche nun dieselbe Entwicklung durch. Tim Mälzer oder Johann Lafer verfügen über ähnlich hohe Bekanntheitswerte wie Popstars, ihre Kochbücher dienen weniger der Rezeptvermittlung als der Selbstdarstellung. Wer einmal in chronologischer Reihenfolge alle Kochbücher von Jamie Oliver durchblättert, kann den Meister nicht nur beim Tratsch mit Freunden und beim Markteinkauf beobachten, sondern auch beim allmählichen Zunehmen - eine selten erreichte Einheit von Werk und Autor. Und bei „Born to Cook“, „Kerner kocht“ oder der „Kocharena“ ging und geht es nicht um Produktion von Mahlzeiten, sondern um Präsentation von Kochstars: Der Wasserdampf übernimmt die Funktion des Trockeneisnebels, Gasflammen sorgen für die Beleuchtung und das Bratenfett für die Soundeffekte.

Ketzer an Kelle und Herd

Der sich ausdifferenzierte gesellschaftliche Raum der Kochkünstler weist genau jene Effekte auf, die der Soziologe Pierre Bourdieu für die Literatur beschrieben hat. Auf der einen Seite des Felds befinden sich die „Häretiker“, etwa der deutsche Jamie-Oliver-Klon Tim Mälzer, der für ein expressives, unkonventionelles Kochen eintritt, bei dem auch einmal eine Bifi verarbeitet werden darf. Gleichzeitig berichtet Mälzer gern von seinem Burn-out-Syndrom, dem Gütesiegel einer exzessiven Starbiografie. Sarah Wiener besetzt eine Mittlerposition und macht darüber hinaus vor allem Frauen Identifikationsangebote. Auf der anderen Seite des Felds befinden sich Alfons Schuhbeck und Johann Lafer. Diese „orthodoxen“ Köche verzichten in ihrem erzieherischen Gestus weder auf das von Rebellen verschmähte Fachvokabular (“pochieren“), noch auf exakte Maßangaben (“Gurke in 1,5 Zentimeter dicke Scheiben schneiden“).

Lafers ständig geäußerte Sorgen um den Zustand der deutschen Esskultur verdankt sich also auch einer feldinternen Distinktionsstrategie: Er serviert seinem Publikum nicht nur Lammsmedaillons im Wirsingmantel auf Bärlauchgnocchi, sondern auch milde Vorwürfe fürs interpassive Verhalten. So wie es längst schon Betroffenheitspop gibt, ensteht nun eben auch Betroffenheitskochen. Johann Lafer ist der Herbert Grönemeyer der Küche.