„Wohin bringt ihr uns?“

Ein „grauer Bus“ macht ab heute Station in Berlin. Das Denkmal vor der Philharmonie erinnert an die Ermordung geistig behinderter Menschen durch die Nazis

Groß und wuchtig wirkt der Koloss aus Beton, fast so, als würde er gleich im Boden versinken. Detailgetreu sind Fenster, Türen und eine Motorhaube im schweren Material nachempfunden. Geht man einen Schritt zurück, dann nehmen die 70 Tonnen graue Masse Form an: ein Krankentransporter aus den 1940er-Jahren.

Ab diesem Freitag ist „Das Denkmal der grauen Busse“ für ein Jahr vor der Philharmonie zu sehen. Mit der Arbeit des Ravensburger Künstlerduos Andreas Knitz und Horst Hoheisel wird der 70.000 geistig und körperlich Behinderten gedacht, die durch die „Aktion T4“ von den Nazis ermordet wurden.

„T4“ war Bestandteil von Hitlers Euthanasie-Programm, dem insgesamt 200.000 Behinderte und psychisch Kranke durch Ermordung oder Vernachlässigung zum Opfer fielen. Hier, in der Tiergartenstraße 4, war die Sonderbehörde in einer enteigneten Villa untergebracht. Sie unterstand dem SS-Obergruppenführer Philipp Bouhler und Hitlers Leibarzt Karl Brandt. Brandt setzte mit der „Aktion T4“ zum ersten Mal in Deutschland Gas zur Tötung von Menschen ein.

Das Denkmal bildet einen der Busse der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ nach, die die Patienten der psychiatrischen Kliniken zu sechs verschiedenen Tötungsstätten in Deutschland brachten. Für den Architekten Knitz ist die historische Verbindung zum Ort sehr wichtig: „Es gibt nur wenige Denkmäler an authentischen Orten, und hier stand der Täterschreibtisch der Geheimaktion.“

Das Denkmal entstand im Rahmen eines Wettbewerbs der Stadt Ravensburg. Anfang 2007 wurden dort zwei identische Busse aus Beton aufgestellt. Der eine Bus „fährt“ nun die Orte ab, die im Zusammenhang mit der „Aktion T4“ standen. Der andere Bus bleibt in Ravensburg und blockiert dort die alte Pforte einer ehemaligen Heilanstalt. „Das Denkmal muss wandern. Das gehört zum Bestandteil der Arbeit“, erklärt Knitz. So könne ein dynamischer Erinnerungsprozess stattfinden, der keine Verdrängung mehr zulasse.

Die Aufstellung des Denkmals wurde unter anderem durch die Stiftungen Topographie des Terrors und Denkmal für die ermordeten Juden Europas ermöglicht. Damit unternahmen die Initiatoren einen weiteren Schritt zur Neugestaltung des Gedenkorts vor der Philharmonie. „Die im Fußboden eingelassene Gedenkplatte an der Bushaltestelle zur Philharmonie kann das nicht leisten“, erklärt Knitz. Er weist auf die besondere Bedeutung seines Kunstwerks hin: „Der Bus dient als Geschichtsvehikel. Er bildet konkret einen Gegenstand ab, der zum Denken anstößt. Je länger die Nazizeit zurückliegt, desto plakativer muss die Kunst sein.“

Mulmig kann es dem Besucher schon werden, wenn er den Bus über einen schmalen Mittelsteg betritt und an der Innenseite der Wände die Frage „Wohin bringt ihr uns?“ liest. Knitz stieß bei seinen Recherchen zufällig auf das Zitat: „Dieser Satz stand in den Krankenakten und fasst das gesamte Ausmaß der Hilflosigkeit und des missbrauchten Vertrauens der Patienten gegenüber ihren Pflegern zusammen.“ Der nächste Halt ist Brandenburg/Havel. YASMIN MUSKALA