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In der Hauptrolle: Staub

Objekt der Ordnung und letzte Bastion des Chaos: Fluseninstallationen, -videos und -zeichnungen von Jenny Michel in der Galerie Gillian Morris

Insekten? Nein, Staubflusen sind an einer Wand der Galerie Gillian Morris in den 40 Holzschaukästen aufgespießt, die uns aus den Präparatesammlungen von Tieren oder Pflanzen bekannt sind. Das „Pulvarium“, wie Jenny Michel ihr Kunstwerk nennt, ist eine Staubsammlung mit einem eigens dafür entwickelten Klassifizierungssystem. Die auf Etiketten aufgespießten Flusen sind nach Form, Farbe und Größe kategorisiert und benannt. Es wird Auskunft gegeben über Familie, Gattung und Art der Staubgebilde, ganz im Sinne einer Systematik nach Linné’schen Prinzipien. Auf diese Weise präsentiert, wird der alltägliche und lästige Grundstoff Staub zum wissenschaftlichen Gegenstand geadelt.

Die Mannigfaltigkeit der Staubformen erzeugt ein Kuriositätenkabinett, vor dem es sich verweilen lässt. Wer für einen Augenblick noch den Kopf über diese absurde Ansammlung geschüttelt hat, ertappt sich vielleicht im nächsten bereits selber bei der Suche nach den Wollmäusen, die einem aus dem eigenen Haushalt am vertrautesten erscheinen, oder bei einer Spekulation darüber, woher bestimmte Flusenformationen wohl stammen mögen.

Neben einer gelungen Auseinandersetzung mit einem Alltagsphänomen wirft das „Pulvarium“ auch einen schmunzelnden Blick auf die Akribie der Wissenschaft. Würde es wirklich eine Staubwissenschaft geben, die den Staub der gesamten Erde archiviert, wäre dies ein heilloses Unterfangen. Der Wahn der wissenschaftlichen Kontrolle würde in diesem Fall wohl zum Scheitern verurteil sein. Vergleichbar unrealistisch erscheint auch die Vorstellung einer gänzlich staubfreien Welt, auf die „Lapis/Crystal City“ als Teil eines Triptychons anspielt. Die Videoarbeit zeigt eine utopische Reinraumwelt, in der alle Spezialanzüge tragen und fortwährend damit beschäftigt sind, ihre Stadt vor Verunreinigungen zu schützen. Zugleich wird an der Umwandlung von Staub zum Lapis, dem Stein der Weisen, gearbeitet, um endlich rein sein zu können.

Als Antipode der funkelnd makellosen Kristallstadt erhält der Staub in der rechten Projektion des Triptychons einen Auftritt als letzte Bastion des Chaos. Die Kamera beobachtet, wie er sein normalerweise verborgenes Verhalten ausführt: Ein verwaister Raum wird zunehmend von ihm bevölkert. Er legt sich auf einen altmodischen Holztisch und umspannt die veralteten Gerätschaften so würdevoll, als ob eine Landschaft sachte mit Schnee berieselt würde. Die nostalgische Stimmung, die in diesen Bildern anklingt, deutet darauf hin, dass ein bisschen Verstaubtheit durchaus etwas ist, womit es sich leben lässt.

Auch in der mittleren Projektion des Triptychons stehen die Staubflusen im Mittelpunkt. Sie tänzeln vor sich hin und geben zeitweilig den Blick frei auf die nur sachte zu erahnenden Fragmente einer dokumentierten Chip-Produktion. Die Flusen auf dem Film scheinen die geisterhaften Bilder zu dominieren und kehren so das gewohnte Verhältnis zwischen dem Inhalt und der Materialität des Filmes um. Noch dominanter verhält sich der Staub in „Memory/Intervention“. Partikelchen, die normalerweise unbemerkt auf Filmmaterial liegen, greifen plötzlich aktiv in das Geschehen des gefunden Super-8-Filmes ein und lassen in einer drastischen Überhöhung ein grausames Staubwerk entstehen. Ein kleines Mädchen, das im Schnee spielt, wird zunehmend von Staubflocken in Besitz genommen, bis die aggressiven Partikelchen ihren Körper gänzlich aufgelöst haben.

Es ist der ironisch-poetische Umgang mit dem Phänomen Staub, der Raum für Absurdität und Kuriosität schafft und dabei hart an der Grenze von Imagination und Realität steht, der Michels Kunst so zugänglich und zugleich fantastisch erscheinen lässt. Das sich im Staub zersetzende Kind kann als eine Anspielung auf die gesundheitlichen Gefahren der durch die Luft geschleuderten Teilchen gelesen werden oder als ihre Rolle beim Anfang und Ende aller Existenz. Michels Werk besticht letztlich durch die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihr vielschichtiges Staubspiel betreibt. Zu guter Letzt entlässt sie den Staub sogar gänzlich aus seiner schmutzigen Rolle, indem sie ausgewählte Flusen in Kunstharz gegossen zu kleinen Schmuckstücken macht.

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Jenny Michel: „Staub“. Galerie Gillian Morris, Brunnenstr. 3, Di.–Sa. 12–18 Uhr, bis 29. Februar

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