WARUM EIN SOZIALTARIF FÜR BEDÜRFTIGE STROMKUNDEN ABSURD IST
: Plumpes Ablenkungsmanöver

Sollen Hartz-IV-Empfänger einen Rabatt auf die Stromrechnung bekommen? Der Vorschlag mag zunächst gut klingen. Tatsächlich ist er reichlich bizarr. Nach dieser Logik könnte irgendein Armutsbescheid – etwa die Befreiung von der Rundfunkgebühr – zum allgemeinen Rabattschein werden. Warum nicht auch für billigere Brötchen beim Bäcker oder Salat auf dem Wochenmarkt?

Ein verquerer Gedanke. Und er lenkt ab von der Verantwortung des Staates: Wenn sich Menschen in einem reichen Land wie dem unseren Lebensnotwendiges wie Licht und Strom nicht mehr leisten können, dann ist der Staat gefragt, dies abzustellen. Dann muss er eben die Sozialhilfe erhöhen. Alles andere ist plumpes Ablenkungsmanöver.

Man fragt sich, welche Vorstellung von Politik und Ökonomie herrscht, wenn Unternehmen aufgefordert werden, eine bestimmte Kundengruppe zu subventionieren. Denn so viel ist klar: Ein Stromanbieter, der für bestimmte Kunden den Strompreis um 70 Euro im Jahr senkt, zahlt bei jedem dieser Kunden drauf. Dass Eon dies trotzdem praktiziert, hat natürlich einen Grund. Denn durch diese Wohltat nimmt der Konzern der Diskussion um seine satten Gewinne die Schärfe.

Aus Politikermund aber wirkt die Forderung nach Strom-Sozialtarifen grotesk. Sie lenkt sogar doppelt von den Versäumnissen des Staates ab: nicht nur im Hinblick auf die Höhe der Sozialhilfe, sondern auch im Hinblick auf die Gesetzgebung im Strommarkt. Denn der Staat hat die Riesengewinne der Konzerne erst möglich gemacht.

Was also ist zu tun? Es gibt eine vernünftige Lösung, die zwar ein wenig komplexer ist als der populistische Ruf nach einem Sozialtarif, dafür ist sie von der Politik leicht umsetzbar: Der Staat verkauft den Stromkonzernen künftig die Zertifikate, die sie für ihren CO2-Ausstoß benötigen, statt sie zu verschenken. So beschneidet er erstens die absurd hohen Gewinne der Konzerne. Zweitens erzielt er genug Einnahmen, um sich einen auskömmlichen Sozialetat leisten zu können – damit auch Arme ihre volle Stromrechnung künftig wieder selbst bezahlen können. BERNWARD JANZING