Exotischer Kurzurlaub im Kino

Mit „Ägypten“ wird am Sonntag vormittag im Atlantis eine Reihe mit Reisefilmen fortgesetzt

Neben dem Traum ist die Reise eine der wichtigsten Metaphern für das Kino. Nicht umsonst evozierte schon 1895 der erste Film überhaupt „L’arrivée d’un train en gare de La Ciotat“ von den Brüdern Lumiére das Erlebnis einer Zugreise. Nur wenigen Jahre später bot das frühe Kino der Attraktionen so genannte „Reisebilder“ von exotischen Sehenswürdigkeiten, und hierbei waren natürlich auch die ägyptischen Pyramiden immer wieder ein attraktives Motiv. Ihre goldene Zeit hatten die so genannten travelogues in den 50er Jahren, als eine über drei Stunden lange Dokumentation in Cinemascope von Hans Domnick mit dem programmatischen Titel „Traumstraße der Welt“ Millionen Deutsche in die Kinos lockte. Mit dem Aufkommen des Massentourismus schwand dann das Interesse an Reisefilmen, deren Funktion ja eben darin bestand, den kostengünstigen Ersatz für eine erträumte eigene Reise zu liefern. Inzwischen macht sich jeder Tourist selbst seine digitalen Reisebilder und das Genre der Reisefilme ist ein Randphänomen geworden. Der Reiseführer in Buchform ist zwar auf der Reise selbst immer noch das praktischste Medium, da man ihn in der Tasche überallhin mit sich tragen kann, aber für die Vorbereitung und besonders die Vorfreunde ist ein geschriebener Text mit ein paar Fotos eher karg und anachronistisch.

So hat sich ein Markt für Reisefilme entwickelt, die im Grunde nicht viel mehr als visuelle Reiseführer sind, und deren Nutzwert viel wichtiger ist als ihre ästhetischen Qualitäten. So ist es etwa bezeichnend, dass im Werbematerial von „Komplett-Media“ für ihren Film „Ägypten“ nirgends die Namen der beiden Regisseure Herbert Lenz und Klaus Kamphausen auftauchen. Über 300 von diesen touristischen Appetit-Anregern werden von der Firma auf DVD angeboten, und der Erfolg dieses Formats ist so groß, dass einige von ihnen wieder zurück in Kinos gewandert sind. Durch die digitale Technik ist es vergleichsweise einfach, diese Produktionen zu zeigen, denn statt all der schweren Filmrollen wird die ganze Filmreihe auf einer Festplatte geliefert. Und die Vorstellungen sind erstaunlich gut besucht. Im Bremer Atlantis läuft etwa seit einiger Zeit an jedem zweiten Sonntag um 11 Uhr morgens solch ein Reisefilm, und bei dem Film „Transsibirische Eisenbahn“ war das Kino am 30. 12. (!) fast voll.

Am Sonntag wird nun also „Ägypten“ von den hier einmal nicht namenlos bleibenden Filmemachern Lenz und Kamphausen gezeigt, und diese tun hier im Grunde wenig anderes als ihre Vorläufer in den Zeiten des frühen Kinos. Sie zeigen die Pyramiden, die Straßen von Kairo, das Tal der Könige, Sarkophage, Mumien, die Wüste und den Nil. All dies in Postkartenansichten – eine originelle Bildfindung oder Inszenierung wäre hier fehl am Platze, und im Kommentar tauchen neben den wichtigen Informationen über die Geschichte des Landes und die besten Hotels auch schon mal das rhetorische Klischee „wie aus tausend und einer Nacht“ auf. Es gibt Bilder vom „ältesten Golfplatz Ägyptens“ und viele Gemeinplätze wie „Kairo ist immer laut.“ Interessant ist die antitouristische Attitüde, die oft in diesem typisch touristischen Produkt angeschlagen wird. Immer wieder beklagt sich die sonore Erzählstimme über die Massen an Menschen, die etwa die erhabene Ruhe der Grabmäler stören und alle die gleichen Aufnahmen mit ihren Kameras machen. Dass in diesem Film ja auch nichts anderes gemacht wird, reflektieren die Filmemacher überhaupt nicht, und so ist „Ägypten“ durchtränkt mit unbeabsichtigter Ironie. Wilfried Hippen