berliner szenen Nur um Stunden

Auf der Post

„Bisschen Kleingeld vielleicht?“, murmelt ein junger Mann und hält mir die Eingangstür auf. Ich betrete den Karstadt am Hermannplatz. Heiße Luft schlägt mir entgegen und eine Frau drängelt sich an mir vorbei nach draußen. Sie flucht. „Es kann sich nur um Stunden handeln“, sagt sie laut und bricht in hysterisches Lachen aus. Ich begebe mich in die Richtung, aus der die Frau gekommen ist und stelle mich an einer sehr langen Schlange an. „Postbank Finanzcenter“ steht Schwarz auf Gelb über mir.

Vor ein paar Monaten stand in dieser Filiale noch ein überlebensgroßer Plastikmann mit Glatze, der seine Arme in die Höhe gerissen hatte. Er warb für irgendein Angebot der Postbank, und jedes Mal, wenn ich die Post betrat, bekam ich einen Schreck. Schlangen wie heute gab es nie. Die sind erst vor ein Paar Wochen aufgetaucht. Ich zögere es schon seit längerem heraus, mich anzustellen, aber heute muss es sein. Der Plastikmann ist nirgends zu entdecken, aber vor mir steht eine Frau in Wintermantel und grünen Strumpfhosen. Außerdem zähle ich 25 weitere Personen vor mir und sehe zwei besetzte Schalter ganz weit weg. Ein großer Mann stellt sich hinter mich. Er stöhnt. Weiter vorne lässt sich eine dicke Frau erschöpft auf einen Hocker am Stehpult fallen. Mir wird heiß.

Nach zehn Minuten bin noch keinen Schritt vorangekommen. „Kaufen die alle Strom?“, fragt der Mann hinter mir laut. Hinter ihm stehen inzwischen acht weitere Menschen. Ich versuche zu erkennen, was bei den Schaltern los ist. Ein Mann fuchtelt mit den Armen, ein Pärchen lässt sich beraten. Und da, hinter den Angestellten, steht er: Der Plastikmann. Seine Arme hängen herunter. Er sieht deprimiert aus.

MAREIKE BARMEYER