Rettung suchen in Mexiko

Alleinerziehende, Arme und Alte: Die Stiftung Bauhaus Dessau lud in Berlin zum Kolloquium „Wohnungsnöte“ ein. Wo die Politik sich zurückgezogen hat, reguliert der Markt – und lässt die Kluft zwischen Arm und Reich wachsen

Den heutigen Wohnungsnöten ist mit Minimalwohnungen nicht beizukommen

„Geht vom Bauhaus tatsächlich wieder eine Revolution aus?“, fragte der Spiegel vor zwei Wochen. Bauhaus-Direktor Omar Akbar forderte dort Architekten und Theoretiker zur Lösung der „gravierenden Wohnungsnöte“ vor allem unter Obdachlosen, Asylbewerbern, Studenten, Rentnern, Arbeitslosen und Geringverdienenden auf. Der erste Akt dieser „Revolution“ hätte am letzten Freitag im Saale stattfinden können: Die Stiftung Bauhaus Dessau hatte in die Architekturgalerie Aedes am Pfefferberg zu einem Kolloquium „Armut und städtischer Wohnungsnot“ eingeladen. Die Veranstaltung stand in Zusammenhang mit dem Bauhaus Award „2008: Wohnungsnöte“, einem ausgeschriebenen Wettbewerb. Allein: Die Revolution fand nicht statt.

Akbar skizzierte zu Beginn die Armut als globales Phänomen: Mehr als eine Milliarde Menschen auf diesem Planeten seien davon betroffen. Auch in Europa wächst die Kluft zwischen Arm und Reich ständig. Gemäß der Maxime „Aktualisierung der Moderne“, mit der die heutige Stiftung Bauhaus an ihre historische Vorgängerinstitution anschließen will, erinnerte Akbar an den Oktober 1929. Damals kamen in Frankfurt am Main die Architekten der Moderne zu ihrem zweiten Kongress zusammen. Die Ciam-Tagung (Congrès International d’Architecture Moderne) stand unter dem einfachen Motto „Was braucht der Mensch?“. Die Antwort von damals, nämlich „Licht, Raum und Wärme“, so Akbar, gelte noch heute. 1929 lieferte eine kongressbegleitende Ausstellung hundert beispielhafte Grundrisse für eine „Wohnung für das Existenzminimum“. Am letzten Freitag war man sich einig, dass man den heutigen Wohnungsnöten mit geschrumpften Minimalwohnungen nicht beikommen kann.

In Deutschland, das führte Walter Prigge von der Stiftung Bauhaus aus, fehlten vor allem bezahlbare Wohnungen für die drei großen A: Arme, Alte und Alleinerziehende. Wohnungen gibt es – anders als in den Zwanzigerjahren – hierzulande genug, nur eben nicht solche, in denen flexibles Wohnen und Arbeiten zu erträglichen Mieten möglich ist. Seit sich der Staat Ende der 90er-Jahre aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen hat und die Lösung der Wohnungsfrage dem Markt überlässt, geht auch hier die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auseinander.

Ein mexikanisches Bauherrenmodell für die Unterschicht stellte Eckhart Ribbeck von der Universität Stuttgart vor. Neza, eine heute 1,5 Millionen Einwohner zählende Spontansiedlung am Rande von Mexiko-Stadt, entstand ohne jegliche staatliche Planung durch den Verkauf illegaler Parzellen und in Selbsthilfe der Bewohner. Die These von Ribbeck: Die Strukturen, die sich aus der komplexen Verdichtung der Hütten entwickelt haben, mit mehrstöckigen Wohn- und Geschäftshäusern zwischen regelmäßigen Straßenrastern, könnten auch professionelle Architekten nicht besser planen. Natürlich gebe es mit der Bausubstanz Probleme, aber das informelle Bauen in Neza biete den dort beheimaten Unterschichten eine echte Chance auf passablen Wohnraum, auch wenn die Konsolidierung des Stadtteils 20 bis 30 Jahre dauerte.

Sabine Kraft, altgediente Mitarbeiterin der linken Architekturzeitschrift Archplus, machte klar, dass Neza für die hiesigen Verhältnisse keine Alternative darstellt. Wie aber innerhalb des Marktes alternative Wohnmodelle möglich wären, wusste auch sie nicht zu sagen, ebenso wenig wie der Berliner Architekt und Publizist Jesko Fezer. Er lieferte wenigstens die entscheidenden Fragen zum Thema Wohnungsnöte: Was wäre die Aufgabe des Staates, was die dies Architekten, und welche Möglichkeiten der Eigeninitiative gibt es?

Nachdem die abschließende Diskussion mit dem eher spärlich erschienenen Publikum auch keine zündende Idee zutage förderte, blieb dem moderierenden Prigge nur übrig, zu konstatieren, dass ein Systemwechsel in der Wohnungspolitik irgendwann an das Thema Eigentum rührt und, so könnte man ergänzen, meistens daran scheitert. Das war übrigens schon die historische Erfahrung der 20er-Jahre, die immerhin eine Revolution noch in frischer Erinnerung hatte. Mit dem Privatbesitz an Grund und Boden sei die Wohnungsfrage nicht zu lösen, konstatierte damals der Berliner Reformarchitekt Bruno Taut.

RONALD BERG