Keine Qualifikation vonnöten

Im Bremer Abschiebegewahrsam wird einem möglicherweise schwerkranken Flüchtling eine fachärztliche Untersuchung verweigert. Anwälten zufolge soll so die Abschiebung von psychisch Kranken durchgesetzt werden – nicht zum ersten Mal

Bremen wollte ursprünglich das Hamburger Untersuchungssystem für Abschiebekandidaten nutzen, scheiterte jedoch an Protesten. Noch unter dem rot-grünen Senat entschied in Hamburg ein Amtsarzt darüber, ob ein Flüchtling zu krank für eine Abschiebung sei. Kurz vor Ende der Legislaturperiode wurde das System jedoch geändert, da nach dem Geschmack der damaligen Innenbehörde zu viele Flüchtlinge als zu krank für eine Abschiebung befunden wurden. Seitdem werden die Untersuchungen durch einen speziellen ärztlichen Dienst übernommen, der direkt dem Leiter des Einwohnerzentralamts unterstellt ist. Dieser entscheidet selbst, ob ein Flüchtling abgeschoben werden kann oder zieht einen externen Gutachter hinzu. Gutachter, die zu oft zu Gunsten des Flüchtlings entschieden, wurden nicht mehr zu Rate gezogen. FEG

VON CHRISTIAN JAKOB

Der türkische Kurde Hakan U. ist seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. 2003 diagnostizierte ein Arzt des Klinikums Hamburg-Ochsenzoll bei dem abgelehnten Asylbewerber eine „paranoide Schizophrenie“. Im vergangenen Jahr wurde U. Paranoia attestiert und „regelmäßige psychiatrische Betreuung“ empfohlen. Eine „Dauermedikation mit Psychopharmaka ist zu erwarten“, schrieb der konsultierte Psychiater. Seit dem 27. Dezember sitzt U. nun im Abschiebetrakt des Bremer Polizeigewahrsams – doch die Polizei weigert sich, ihn einem Psychiater vorzuführen.

Ende Dezember wurde U., der sich ohne Papiere in Bremen aufhielt, von der Polizei aufgegriffen. Der Arzt, der seine Haftfähigkeit feststellen sollte, schrieb ins Gutachten: „Psychischer Zustand nicht einschätzbar, Vorstellung beim sozialpsychiatrischen Dienst notwendig.“ Das versuchen U.s Anwälte seither durchzusetzen – doch die Polizei sperrt sich gegen eine fachärztliche Untersuchung. Eberhard Schultz, Anwalt des Kurden: „Die Polizei tut alles, um zu verhindern, dass die Haftfähigkeit und eine psychische Erkrankung von den dafür zuständigen Ärzten überprüft werden.“

Hintergrund des Streits: Die Diagnose einer so schweren Erkrankung wie Schizophrenie würde nicht nur eine Freilassung U.s bedeuten, sondern auch dessen drohende Abschiebung unmöglich machen.

Nach fast zwei Wochen Haft wurde U. einem Polizeiarzt vorgeführt. Dessen Urteil: „Es bestehen erhebliche Zweifel an einer Diagnose Psychose (Schizophrenie). Die Symptome werden m. E. übertrieben ‚lehrbuchmäßig‘ geschildert.“ Der unterzeichnende Polizeiarzt ist jedoch Allgemeinmediziner – kein Psychologe oder Psychiater.

Der Sprecher der Bremer Polizei, Ralf Pestrup, hält dies für völlig normal. „Wie immer wenn Bedenken an der Haftfähigkeit auftauchen, fand hier eine Begutachtung durch den Polizeiärztlichen Dienst statt. Und diese hat ergeben, dass Herr U. haftfähig ist.“ Dass es sich bei dem Gutachter um einen nicht für geistige Erkrankungen qualifizierten Allgemeinmediziner gehandelt hat, sei kein Problem. „Wenn der Amtsarzt die leisesten Zweifel hat, dann wird ein Facharzt hinzugerufen.“ Dies sei ausreichend, denn „man merkt doch, ob gewisse Antwortmuster im Rahmen des Normalen stattfinden.“ Außerdem gebe es auch für den Allgemeinmediziner Anhaltspunkte für die Diagnose geistiger Erkrankungen: etwa, ob ein Patient ohne Medikamente einschlafen könne.

Jochen Zenker, Leiter des Gesundheitsamtes Bremen, kann dies nicht nachvollziehen: „Wenn man humpelt, dann geht man nicht zum Ohrenarzt. Und wenn ein Arzt hört, es besteht ein Verdacht auf eine Hüftgelenknekrose, dann schickt er den Patienten zum Orthopäden zum Röntgen. Ins Hüftgelenk kann man nicht reingucken.“ Bei „paranoider Schizophrenie“ handele es sich um „eine der komplexesten und schwersten psychischen Krankheiten überhaupt“, sagt Zenker. „Da muss man mit psychiatrischem Sachverstand rangehen.“ Bei einem Vorverdacht müsse ein Facharzt die Untersuchung durchführen. „Ob so etwas vorliegt, ist als Allgemeinmediziner nicht eindeutig zu beurteilen“, sagt Zenker.

Es sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass Polizeiärzte ohne Fachqualifikation über eine psychiatrische Untersuchung möglicherweise geistig erkrankter Abschiebehäftlinge entscheiden, sagt dagegen Rainer Gausepohl, Sprecher von Bremens Innensenator Willi Lemke (SPD). Er verweist darauf, dass U. bereits vier Mal aus Deutschland abgeschoben worden sei. Er habe in der Vergangenheit mehrfach versucht, dies mit Hinweis auf psychische Erkrankungen zu verhindern. Vor seiner letzten Abschiebung 2005 sei U. eine Woche lang in der Psychiatrie des Bremer Zentralkrankenhauses Ost behandelt worden. Die Ärzte hätten damals jedoch keine Diagnose gestellt, die einer Abschiebung entgegen gestanden hätte.

Ganz anders sieht das die Bremer Anwältin und Kriminologin Christine Graebsch. Sie hat eine Studie über die medizinische Versorgung im Polizeigewahrsam verfasst. „Die wehren sich mit Händen und Füßen, wenn Häftlinge von externen Ärzten untersucht werden sollen“, sagt sie. „Maximal wird die Haftfähigkeit geprüft – und wenn die gegeben ist, wird dies dann gleich als Reisefähigkeit gewertet und für die Abschiebung benutzt.“ Erst in der vergangenen Woche habe sie ein Gerichtsurteil erwirken müssen, bevor ein ebenfalls psychisch erkrankter Mandant von ihr im Abschiebetrakt von einem Psychiater untersucht werden konnte. „Dabei hatte sich der Mann die ganzen Arme selber zerschnitten, ein Blinder hat gesehen, dass da etwas nicht stimmte.“ Und trotzdem: Bevor ich das Gerichtsurteil hatte, haben die uns einfach nicht reingelassen.“Mitarbeit: MAJA HOOCK