Misstrauen unter Kenias heiligem Berg

Die Kikuyu in ihrer Heimat am Mount Kenya fühlen sich zu Unrecht von anderen Ethnien verunglimpft. Der über 5.000 Meter hohe Berg steht für den mythischen Ursprung der Kikuyu – und für die korrupte Elite um Präsident Mwai Kibaki

Die Zahl der Todesopfer bei der Gewalt in Kenia seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom 27. Dezember 2007 ist auf über 1.000 gestiegen. Dies berichtete das kenianische Rote Kreuz am Dienstag. Über 300.000 Menschen seien auf der Flucht.

Vertreter von Regierung und Opposition des Landes nahmen derweil in Nairobi Beratungen über eine Machtteilung auf. „Die Gespräche haben begonnen“, sagte ein Vertreter des Außenministeriums. Vermittler Kofi Annan deutete in einem Treffen mit Wirtschaftsführern erstmals an, wie er sich eine Lösung bezüglich des umstrittenen Wahlergebnisses vorstellt. „Es geht nicht um Personen, sondern um eine Stärkung der Institutionen“, erklärte der ehemalige UN-Generalsekretär. Nach Annans Äußerung galt es als möglich, dass für Oppositionsführer Raila Odinga ein neues Amt etwa eines starken Premierministers geschaffen werden könnte. AP, AFP, EPD

NYERI taz ■ „Alles ist die Schuld der Briten“, sagt Joseph Karimi, und seine alten Augen glitzern voller Wut. „Sie säen noch immer Zwietracht zwischen uns, um ihre eigenen Interessen zu schützen. Schließlich besitzen sie noch immer viel Land und Betriebe in Kenia.“ Der Schriftsteller lehnt sich zurück und nimmt einen Schluck Tee auf der Hotelterrasse in Nyeri. Früher war das Hotel ein britischer Kolonialclub. Hinter ihm erhebt sich der Mount Kenya mit Eistupfern auf den Felsgipfeln in den blauen Himmel.

Der 5.199 Meter hohe Mount Kenya, zweithöchster Berg Afrikas, spielt eine wichtige Rolle in der Identität der Kikuyu, Kenias größter Ethnie. Der Name des Berges steht in Kenia für die Clique von Kikuyu-Geschäftsmännern, die angeblich Politik und Wirtschaft im Land dominiert. Die „Mount Kenya Mafia“ erregt tiefen Unmut bei den meisten der anderen 41 Ethnien Kenias. Es geht um Freunde von Präsident Mwai Kibaki, selbst Kikuyu, der unter dubiosen Umständen Gewinner der Präsidentenwahlen vom 27. Dezember 2007 wurde, was eine Spirale ethnischer Gewalt ausgelöst hat.

„Andere Völker mögen uns nicht, weil wir hart arbeiten und erfolgreich sind“, behauptet eine Kikuyu-Bäuerin in Nyeri. Aber es gibt doch sicher auch hart arbeitende Menschen in anderen Ethnien? „Nein“, lautet ihre resolute Antwort.

Kenias Zentralprovinz ist die traditionelle Heimat der rund acht Millionen Kikuyu. Ende des 19. Jahrhundert ließen sich viele weiße Farmer im Kikuyu-Gebiet nieder. Sie vertrieben die Einheimischen und zwangen die Landlosen dann, für sich zu arbeiten. Auch die ersten Missionsschulen öffneten hier. So kamen die Kikuyu als erstes Volk in Kenia in Kontakt mit europäischer Bildung. Anfang der 50er-Jahre rebellierten sie gegen die britischen Kolonialherren in der bewaffneten Revolte „Mau-Mau“. Tausende wurden getötet, aber die Rebellion brachte Kenia die Unabhängigkeit. Der harte Kern der Mau-Mau kam aus Nyeri und Umgebung. Sie sind immer noch sehr antibritisch eingestellt. Und sie bilden heute den Kern der „Mount Kenya Mafia“.

Nach der Unabhängigkeit 1963 kaufte Kenias erster Staatschef, der Kikuyu Jomo Kenyatta, auswandernden britischen Siedlern Land ab. Manches behielt er für sich, anderes verschenkte oder verscherbelte er an Kikuyu. Dadurch fühlten sich andere Ethnien übergangen. Dass erst 2002 mit Mwai Kibaki wieder ein Kikuyu Präsident wurde, änderte nichts an der Wahrnehmung, die Kikuyu hätten sich Privilegien geschaffen. Bei den Wahlen 2007 versprach Oppositionsführer Raila Odinga, Kenia von der „Mount Kenya Mafia“ im Umfeld Kibakis zu säubern.

Den Kikuyu ist der Mount Kenya heilig. Nach der Kikuyu-Überlieferung wohnt Gott auf dem Berggipfel und schuf den ersten Kikuyu bei einem Baum im Ort Muranga südlich von Kenia. Gott, der bei den Kikuyu Ngai heißt, nannte diesen Mann Gikuyu und gab ihm eine Frau, Mumbi. Die beiden bekamen viele Töchter, von denen das Kikuyu-Volk abstammt.

Bis heute gibt es eine Gedenkstätte dafür in Muranga, hinter einem hohen Tor am Ende eines matschigen Weges. Zwei sehr besoffene Männer aus dem Dorf haben den Schlüssel. „Es kommen selten Besucher“, sagt einer von ihnen mit großer Mühe. „Kikuyu nehmen sich keine Zeit, um Ngai anzubeten. Wir sind zu beschäftigt mit Geldverdienen.“

Im Zentrum von Muranga hat John Kariamiti, ein ehemaliger Bankräuber und jetzt Schriftsteller, sein Büro. Er liebt die Ruhe dieses Städtchens, wo er ein neues Leben angefangen hat nach 16 Jahren Knast. Er findet, seine Volksgenossen in Nyeri sind Extremisten. „Wir sind überhaupt nicht besser als die anderen. Wir ergreifen bloß jede Chance mit beiden Händen. Lasst uns Geschäfte machen und dafür sorgen, dass es bei den nächsten Wahlen keinen Kikuyu-Präsidentenkandidaten gibt. Dann wird alles gut.“

Als der freundliche alte Mann seine Erinnerungen über seine Zeit als Bankräuber ausgräbt, zieht er Parallelen zur Politik von heute. „Mit einer Waffe in der Hand konnte ich alles bekommen. Die Welt gehörte mir. Wenn Politiker Macht haben, können sie alles bekommen und sich alles leisten.“ Dann hebt er mahnend seinen Finger: „Aber vergiss nicht: Hinter jedem Erfolg steckt ein Verbrechen.“

ILONA EVELEENS