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: Nah am Wasser gebaut: Ildefonso Falcones’ Historienschmöker „Die Kathedrale des Meeres“

Der Taschentuchverbrauch ist enorm. Eigentlich ist alles enorm an Ildefonso Falcones’ Roman „Die Kathedrale des Meeres“, der gerade weltweit die Bestsellerlisten stürmt: die Leiden und Entbehrungen des Helden Arnau Estanyol, der sich im Barcelona des 14. Jahrhunderts vom Leibeigenen zum Seekonsul emporarbeitet, um dann am Ende fast doch noch der Inquisition zum Opfer zu fallen, genauso wie die monumentale Kathedrale Santa Maria del Mar, die von den Bewohnern der Stadt errichtet wird, um den Repräsentationsbauten, wie sie von den Herrschenden zur Selbstbeweihräucherung in die Höhe gezogen werden, eine Kirche für das Volk gegenüberzustellen. Mehr als fünfzig Jahre dauert dieser symbolträchtige Bau am Ufer des Mittelmeeres, und diese Zeitspanne umfasst auch der Roman.

Arnau gehört schon als Vierzehnjähriger zu den Männern, die auf ihrem Rücken die riesigen Steine für den Bau der Kirche herbeischleppen. Sein kindlicher Körper müsste zusammenbrechen unter dieser Last, die selbst von ausgewachsenen Männern nur unter größten Anstrengungen gestemmt werden kann. Aber Arnaus Wille ist unbeugsamer als sein Rücken. Als er sich mit seinem ersten Stein, vom Kilometer entfernten Steinbruch kommend, mit schmerzverzerrtem Gesicht dem Kirchenbau nähert, bricht die umstehende Menge in spontanen Jubel aus und trägt ihn die fehlenden Meter mit ihren Anfeuerungen.

Während sich Falcones nicht nur an dieser Stelle als souveräner Arrangeur Gänsehaut induzierender Massenaufläufe zeigt, wird für seinen jungen Helden der erste Weg vom Steinbruch zur Kirche zu einer Initiation. Nicht nur alle weiteren Steine wird er bewältigen, sondern auch alle Schicksalsschläge, die ihm noch widerfahren sollen. Und das sind nach dem Willen seines Erfinders nicht wenige. Falcones, der hauptberuflich Anwalt ist und der fünf Jahre lang täglich eine Stunde lang vor der Arbeit an seinem Roman geschrieben hat, erzählt nach einem zyklischen Prinzip. Immer wenn es seinem Helden gerade gelungen ist, ein Unglück zu verwinden, erwischt ihn prompt das nächste, ob nun die Hinrichtung des Vaters nach einem Schauprozess oder die Pest, die seine Ehefrau dahinrafft, die verwehrte Liebe oder der niederträchtige Verrat durch einen neidischen Mitmenschen. Wenn es nicht die Willkür des Feudalsystems ist, dann sind es die wahnhaften Auswüchse des christlichen Glaubens, die den Menschen zusetzen.

Überflüssig, zu erwähnen, dass der schwarz gelockte, muskulöse Arnau nicht nur der optische, sondern auch der menschliche Glanzpunkt inmitten dieser mittelalterlichen Düsternis ist. Da sieht man gern darüber hinweg, dass die Passagen, in denen Falcones sich zum Chronisten Kataloniens aufschwingen will, etwas grobmotorisch und vor lauter Königsnamen, Hoheitsgebieten und Marschrichtungen einigermaßen unübersichtlich ausfallen. Wichtig ist aber ohnehin nur, wie es Arnau inmitten dieser historischen Konstellationen wohl ergehen mag. Es ist der erzählerische Ritterschlag für den Debütanten Falcones, dass der Leser diese Geschichte gebannt verfolgt.

Der Gewiefte ahnt es natürlich schon, als Arnaus Vater auf den ersten Seiten des Romans den halb verhungerten Säugling aus den Fängen des brutalen Lehnsherrn rettet: Am Ende, nach vielen Schicksalsschlägen, nach über fünfzig Jahren und stolzen 650 Seiten (wie es sich für einen veritablen Historienschmöker gehört), hat das Gute den längeren Atem gehabt. Die Glocke von Santa Maria del Mar erklingt zum ersten Mal. Umringt von seinen Mitbürgern, steht Arnau in seiner Kirche, die geliebte und lange entbehrte Frau in den Armen. Hach. Nichts ist so entspannend wie ein Mitleiden, bei dem das versöhnliche Ende immer schon am Horizont schimmert. Man gönnt sich ja sonst nichts. WIEBKE POROMBKA

Ildefonso Falcones: „Die Kathedrale des Meeres“. Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen, Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2007, 656 Seiten, 19,90 Euro