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Das Kind im Bösewicht

Claus Peymann inszeniert „Richard III.“ im BE: Ernst Stötzner brilliert in der Titelrolle. Ansonsten ist das Shakespeare-Setting allzu naheliegend ins Kanzleramtsmilieu verlegt

In der Sonne des gerade angebrochenen Friedens sieht Richard einen neuen Schatten. Seinen Schatten. Also strahlen die Scheinwerfer aus der Tür am linken Bühnenrand und machen, dass Ernst Stötzner einen lang gezogenen Schatten wirft. Dann schleppt Charlotte Müller als Lady Anna eine ebensechte König-Heinrich-Puppe herein und flucht weinend dem Mörder. Als der hinter ihr auftaucht, richtet sie die Plastikleiche auf und – siehe da: „O, des Königs Wunden – / die Münder öffnen sich, sie bluten neu“ – aus Schlitzen im Kunststoff quillt dunkelroter Saft.

Solcherlei Textbedienung bringt zwar zusätzlichen Albernheitseffekt, aber keinen Deutungsaufschwung oder Atmosphärenschaffung oder Metaphernvergrößerung in Claus Peymanns Inszenierung von Shakespeares Gräuel-Historie am Berliner Ensemble, die er sich hier über 20 Jahre nach seinem Burgtheatererfolg mit Gert Voss in der Titelrolle wieder vornimmt. Und weil Richard III. die wohl berühmteste „Buckelkröte“ der Dramengeschichte ist, kriegt Stötzner einen ordentlichen Höcker auf die linke Schulter und darf das rechte Bein, in schwarzsamtenen Kniehosen über Schnürstiefeln, nur mit der Fußspitze aufsetzen: „ein Auswurf, hinkend“ und „schief gebaut“. Was aber soll uns dieser Buckel sagen? Anderes, als dass Richard noch und wieder einfach nur böse ist?

Jüngst wurde Ernst Stötzner für seinen herrlich begriffsstutzigen, kindlichen Puck in Jürgen Goschs „Sommernachtstraum“ am Deutschen Theater, wo er zurzeit festes Ensemble-Mitglied ist, mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet. Auch in seinem Erzbösewicht schlägt das Kind durch, ein Monsterkind freilich: purer Egoismus, skrupellose Sorglosigkeit, heillose Unverantwortung. Nicht kühl kalkulierend, sondern eher aus dem Bauch heraus seinen Mordsspaß treibend und die Intrigen aus fataler Fabulierlust spinnend. Als die Krone endlich auf den wirrweißen Haaren und Richard auf dem Thron sitzt, ist dieser zu hoch für ihn. Die Beine baumeln, das Kind schaut unzufrieden. Trotziges Immer-mehr-Wollen.

Das Monsterkind ist auch Spielkind, das hier eben „den Dreckskerl aufzuführn“ gedenkt. Dem nichts ernst, alles läppisches Schau- und Puppenspiel ist, Verstellung auf Teufel komm nicht raus. Mit loser Hand schnoddert Stötzner die Figur hin, gibt das Böse banal, nuschelt über die von Thomas Brasch übersetzten Blankverse hinweg, flachst und fläzt sich durch die Szenen. „Mach’s kurz, Muddi, ich hab’s eilig“, raunzt er Muttern zu, die ihm die Leviten lesen will. So dreist, so witzig ist dieser Alleinunterhalter und hat nach kurzer Zeit das Publikum zum Mit-ihm-Lachen verführt.

Doch außer ihm ist wenig Anlass zur Vergnüglichkeit. In mehrerer Hinsicht wirkt Stötzner an diesem Abend als Fremdling: nicht nur schauspielerischer Lichtblick, sondern auch hinkender Widerspruch in einer Inszenierung, die ansonsten alles glasklar ins Naheliegende, nämlich ins Kanzleramtsmilieu nebst Highclass-Feterei verlegt. Die abfallende Bühne ist von spiegelnden Glasschiebewänden schräg geteilt (Bühne: Karl-Ernst Herrmann). Das war’s aber auch schon an Abstraktion.

Die Herren am Hof rücken sich die Krawatten zurecht, reichen scheinheilig Käsehäppchen herum und handeln mit der Kaffeetasse in der Hand die Koalitionen aus, derweil die Macht in Form der Krone im Kühlschrank auf Eis gelegt ist. Richmond, der bei Shakespeare als Retter kommt, wird vom Blitzlichtgewitter bestürmt und post mit Händeschütteln. Wenig später knallt dieser Mafioso den schwertschwingend nach einem Pferd umherstürmenden Richard unspektakulär ab: eiskalter Nachfolger in der Macht, ein Bösewicht folgt dem anderen.

Damit wird immerhin beherzt gedeutet. Mit den übrigen Szenen sind wir allerdings im Reich der überdeutlichen Zeichen. Doch gerade der Protagonist will sich nicht recht in das Aktualisierungskorsett zwängen lassen. Wer ist Richard, der Typus Schröder? Merkel? Müntefering gar? Stötzner spielt ja viel, aber das nicht. Zumindest nicht auf der abbildschnellen Eins-zu-eins-Ebene, auf der seine Spielkollegen zu agieren angehalten sind.

Auch kein Ahmadinedschad steht da auf der Bühne, wie man angesichts des kleinen Real-Prologs, der sich vor Beginn des Theaterereignisses auf dem Vorplatz des BEs abspielt, kurzschlüssig assoziieren möchte. Rund 20 Demonstranten mit Spruchbändern und Megafonen haben sich versammelt, um gegen die anstehende Gastspielreise des Ensembles zum Fadjr-Festival nach Teheran zu protestieren. Sie empfinden das als automatische Unterstützung des „antisemitischen Terrorregimes“. Peymann, bereit zum Straßenplausch, findet den Kulturaustausch wichtig und es vor allem „aufregend, dass Theater so etwas bewirken kann“. Allerdings waren es in den vergangenen Jahren ja weniger seine Inszenierungen als zum Beispiel eine fragwürdige Praktikumsplatzvergabe, die politisch für Furore sorgten.

Vorm BE steht man sich in schwarzweißer Polemik gegenüber. Schade, dass das Falsche keinen Buckel hat, an dem man es erkennen könnte. ANNE PETER

Richard III. läuft im BE wieder am 22. Februar

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