Forschung statt Konsum

Umnutzung statt Abriss: Das ist die bessere Lösung, wie die Ausstellung „Schöne neue Welt – Zur Umgestaltung von Städten in Mittel- und Osteuropa“ in der ifa-Galerie zeigt. Die Kunst kann dabei oft nur dokumentieren, wo sie gerne intervenieren wollte. Umso besser, wenn es dann doch mal klappt

VON RONALD BERG

„Feiern Sie ein Einweihungsfest“, so heißt die letzte Gebrauchsanweisung zur Übernahme eines leerstehenden Plattenbaus, die der Filmemacher Sebastian Heinzel in einem Videofilm in vorschlägt. Die im Video dokumentierte Party war das glückliche Ende der Verwandlung eines vom Abriss bedrohten Plattenbaus zum „Verbündungshaus Fforst“. Unter diesem Namen wird in Frankfurt (Oder) inzwischen ein von deutschen und polnischen Studenten selbstorganisiertes Wohnheim mit kulturellem Angebot für alle betrieben.

Die Geschichte klingt wie ein Märchen. Doch sie ist wahr. Das dreiköpfige Berliner Designkollektiv „anschlaege.de“ hat das erfolgreiche studentische Projekt als Seminar an der Frankfurter Viadrina-Universität angestoßen. Nachdem die Idee durch die Hürden der Bürokratie gebracht, die „Platte“ renoviert und bezogen wurde, bietet sie nicht nur bezahlbaren Wohnraum für die polnischen Studenten von der anderen Seite der Oder, sondern hat sich sogar zu einem kulturellen Zentrum der Stadt gemausert.

„Die Utopie ist nur einen Schritt von der Wirklichkeit entfernt. Gründen auch Sie ein Verbündungshaus!“, so die Aufforderung in Heinzels Kurzfilm. Der Optimismus scheint bitter nötig. Denn wie in Heinzels Video selbst zu sehen, hat der Übergang vom Staatssozialismus zum Kapitalismus erst mal dazu geführt, dass die baulichen Hinterlassenschaften aus Ostzeiten unter die Abrissbirne kommen. Frankfurts Stadtzentrum besteht aus Trümmern, und die Stimmung bei den Leuten ist auch sonst nicht rosig. Da ist es verständlich, dass Heinzel seinen Film als ironisch-fröhlichen Agitprop-Streifen mit beschwingter Musik konzipiert hat.

Bei den meisten der insgesamt zehn künstlerischen Arbeiten, die Leiterin Barbara Barsch für die ifa-Galerie zum Thema des urbanen und sozialen Wandel in Mittel- und Osteuropa ausgesucht hat, regieren ernstere Töne: Wehmut über eine verlorene Lebenswelt herrscht etwa in Kristina Inciuraites Video über das ehemalige Luxushotel „Gintaras“ in Vilnius, von dessen sozialistischem Charme nach dem Umbau nur noch der alte Neonschriftzug auf dem Dach geblieben ist. Das Parkett im Festsaal des Hotels wirkt tot und verlassen, was Inciuraites Video durch die starre Einstellung noch betont. Nur die alte Musik und die Erinnerungen eines Barmädchens aus dem Off wecken eine leise Ahnung davon, welch prunkvolle Bühne das Hotel zu Sowjetzeiten dem Leben einst bot. Einem ähnlichen Thema widmet sich Vytautas Michelkevicius. Der Litauer hat versucht, den Bedeutungswandel der Hochzeits-, Bestattungs-, Kultur- und Sportpaläste in Vilnius mit Foto- und Videokamera nachzuspüren. Wo einst die Höhepunkte im Leben des Sowjetmenschen stattfanden, sieht man heute nur noch funktionalistische Betonarchitektur, jedenfalls, wenn man als Hamburger Passant auf der Straße zu Fotos dieser Gebäude befragt wird. Für die Bewohner von Vilnius sieht die „Psychographie der Stadt“ natürlich anders aus.

Nun sollte man aber nicht glauben, dass der an Aldous Huxleys Roman gemahnende Ausstellungstitel „Schöne neue Welt“ reiner Sarkasmus wäre. Der Wandel bietet durchaus auch Chancen. Manchmal sogar ganz offiziell mit staatlicher Unterstützung. Im lettischen Riga wird aus dem Gelände eines alten E-Werks ein neues kulturelles Zentrum der Stadt mit Nationalbibliothek, Konzerthalle und „Museum für zeitgenössische Kunst“. Für Letzteres hat das Büro von Stararchitekt Rem Koolhaas die alten Backsteinbauten mit einer Art Berliner Nationalgalerie umbaut, wie man in der ifa-Galerie auf großformatigen Bildsimulationen sehen kann.

Umnutzung und Transformation im Stadtbild und an Gebäuden sind das Leitmotiv der ifa-Schau. Die Architektur ist eben der sichtbarste und handgreiflichste Ausdruck für den Wandel der Verhältnisse innerhalb der neu entstandenen Gesellschaftssysteme von Ostberlin bis Sibirien. Der Einzug einer allgegenwärtigen, oft sexistischen Konsumwerbung ins Straßenbild, die Albert Caspari in Riga von 1990 bis heute fotografiert hat, das Auftauchen von privaten Kiosken nach Ende des staatlichen Planungsmonopols zur Versorgung der Bevölkerung im sibirischen Ust’Ilimsk (in der Dokumentation von Barbara Engel) oder die rigorose Verschandelung und Zerstörung sozialistischer Idealentwürfe durch kommerzielle Interessen wie bei der Prager Straße in Dresden, all das sind die täglichen Begleiterscheinungen des epochalen Wandels.

Dass man sich dabei nicht alles gefallen lassen muss, meinen Silke Riechert und Andrea Knobloch. Zusammen mit dem Verein zur Rettung des 1972 fertiggestellten Rundkinos in der Prager Straße entwerfen sie Lösungen, wie aus dem baulichen Denkmal mit „‚extraterrestrischem‘ Einschlag“ die Heimat für eine erneute Vision werden kann: ein Kulturforum. Ihre aus dem modernistischen Vokabular der Prager Straße gespeisten Modellentwürfe für Installationen und die gemeinsamen Buntstiftzeichnungen („mindmaps“) mit Slogans wie „Alle forschen statt zu konsumieren“ artikulieren dabei nicht nur utopische Hoffnungen, sondern stellen auch die Frage, wie Künstler dabei beteiligt sein könnten.

Zwar gibt es auf dem Papier im „Brave New World Manual“ von MBMHP (Minas Bakalcev + Mitko Hadzi-Pulja) konkrete Handlungsanweisungen, wie man den Wandel als Chance begreifen kann – etwa indem man fortan Häuser mit extrovertierten Strukturen baut und auf Baumfällungen verzichtet – aber die ifa-Ausstellung zeigt doch materialreich und videolastig, dass die Kunst die urbanen Veränderungen eher dokumentiert, als dass sie selbst interveniert. Um so interessanter sind die Ausnahmen, wo Künstler sich plötzlich wieder in die Gesellschaft einmischen wie beim „Verbündungshaus“ in Frankfurt an der Oder.

Bis 4. Mai. ifa-Galerie, Institut für Auslandsbeziehungen e. V., Linienstr. 139/140, Di.–So. 14–19 Uhr. Eintritt frei