Offensichtliches Missverhältnis

In Unternehmen mit internationaler Ausrichtung haben Geisteswissenschaftler es trotz ihrer kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen schwer. Nur wenige machen sich die Fähigkeiten der weltgewandten Akademiker zunutze

Ähnlich große Probleme wie deutsche Geisteswissenschaftler, die bei international operierenden Firmen tätig werden wollen, haben qualifizierte Migranten, deren Bildungsabschlüsse in Deutschland häufig nicht anerkannt werden. Eine Studie der „Tür an Tür Integrationsprojekte GmbH“ fordert daher Chancengleichheit für die Zuwanderer und bietet den Betroffenen Beratungen an. Mehr Infos unter: www.berufliche-anerkennung.de

VON TILMAN VON ROHDEN

Manch Mutter oder Vater runzelt die Stirn bei dem Gedanken, dass ihr Kind sich für das Studium einer Geisteswissenschaft entschieden hat. Denn anders als beispielsweise für Mediziner oder Ingenieure ist der Weg in den Beruf für Sprach- und Kulturwissenschaftler, Soziologen, Historiker, und Philosophen nicht klar vorgezeichnet. Wenn es um einen Job geht, haben sie zudem den Nachteil, dass viele Chefs nicht wissen, über welche Kompetenzen diese Akademiker verfügen. Das schlägt sich in der Arbeitslosenstatistik nieder. Seit Jahrzehnten sind Geisteswissenschaftler öfter arbeitslos als ihre Kollegen aus den Natur- oder Ingenieurwissenschaften.

Geisteswissenschaftler sind Brückenbauer zwischen den Kulturen, heißt es, ihre Kompetenzen interkultureller und kommunikativer Natur. Insofern wäre es nicht überraschend, wenn die Geisteswissenschaften zu den Gewinnern der Globalisierung zählen würden. Doch das Gegenteil ist richtig. Die Welt wird internationaler, aber das wissensbasierte Multikulti geht an den Geisteswissenschaftlern vorbei. „Ich sehe auch nicht, dass sich daran in Zukunft etwas ändern wird“, sagt Joachim Koch-Bantz, Referatsleiter für Hochschul- und Wissenschaftspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Im Gegenteil: Gegenüber Ingenieuren geraten Geisteswissenschaftler weiter ins Hintertreffen, weil Erstere erfolgreich an ihren Defiziten arbeiten. Dass sie nach einem Bonmot gut arbeiten und schlecht sprechen können, gilt schon längst nicht mehr.“

Geisteswissenschaftler, sagt man, wissen, wie sie sich gegenüber ausländischen Partnern verhalten sollten, welche Gepflogenheiten beim Geschäftsessen in Japan zu beachten sind und was ein Brite als höflich empfindet. Diese sogenannten interkulturellen Kompetenzen sind in zunehmendem Maße gefragt, wenn Unternehmen ihre Produkte in alle Welt verkaufen, ausländische Produktionsstätten haben oder in aller Herren Länder Vorprodukte erwerben. Doch nur eine Minderheit der grenzüberschreitend tätigen Unternehmen in Deutschland macht sich die Fähigkeiten der weltgewandten Akademiker zunutze. Darauf weist das Ergebnis einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft: Es zeigt ein offensichtliche Missverhältnis zwischen der Relevanz der geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen und den kommunikativen Kompetenzen ihrer Absolventen und dem tatsächlichen Einsatz von Geisteswissenschaftlern in den Unternehmen.

In Betrieben mit internationaler Ausrichtung haben Geisteswissenschaftler es offensichtlich schwer. Nach der Studie beschäftigen zwei Drittel dieser Unternehmen keine. Die Autoren der Studie gingen für ihre Untersuchung der beruflichen Situation von Volkskundlern, Anglisten und Co. in 106 Firmen nach. Außerdem wurden 108 hier ansässige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) einbezogen – auch sie bewegen sich auf internationalem Parkett. Ihre Personalpolitik unterscheidet sie aber von der Wirtschaft: Immerhin vier von fünf NGOs gaben an, Geisteswissenschaftler zu beschäftigen. Zugleich geht aus der Studie hervor, dass das eine Drittel dieser Unternehmen gute Erfahrungen mit den Geisteswissenschaftlern macht. Knapp 75 Prozent der Unternehmen meinen, dass diese Angestelltengruppe einen „erfolgsrelevanten Beitrag“ bei Verhandlungen und Vertragsabschlüssen leistet. Bei Unternehmen ohne Geisteswissenschaftler sind es nur 31 Prozent, die dies glauben.

Den pauschalen Vorwurf, Geisteswissenschaften seien praxisfremd und deshalb kaum konkurrenzfähig, möchte Siemens-Sprecher Marc Langendorf nicht gelten lassen. „Dies trifft auf mehr oder weniger alle Studiengänge zu.“ Vielmehr müssten sich Geisteswissenschaftler damit abfinden, dass Siemens und vergleichbare Unternehmen spezielle Anforderungen in den Natur- oder Ingenieurwissenschaften hätten, die Geisteswissenschaftler eben nicht erfüllen könnten. Soerge Drosten vom Beratungsunternehmen Kienbaum meint, wie attraktiv ein Geisteswissenschaftler für Unternehmen sei, entscheide sich schon im Studium: „Wer keine Praktika gemacht hat, kann in der Wirtschaft nichts werden.“

Anders als der DGB-Mann Koch-Bantz glaubt Drosten, dass Deutschlands demografische Entwicklung sich positiv für Geisteswissenschaftler auswirken wird. „Aber ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Berufserfahrung wird es auch in Zukunft nicht gehen.“