nebensachen aus nairobi
: Depressionen in den Villen auf den Hügeln

Im Garten quietscht die Schaukel erbärmlich im Wind, während meine Freunde im Haus Kisten packen. Heute Abend geht es nach Europa. Die beiden gehören zu jenen, denen Kenia nach Ausbruch der Unruhen ein zu heißes Pflaster geworden ist. Sie fürchten um die Sicherheit ihrer Söhne, wenn als Folge der Massenentlassungen die Kriminalität stark zunimmt. Einer der beiden spielt oft mit meiner Tochter. Ich werde ihr erklären müssen, dass das jetzt nicht mehr geht. Man könnte Depressionen kriegen, wenn man sie nicht schon hätte.

Wie eine bleierne Decke hat sich über den Ausländern im Land eine düstere Stimmung ausgebreitet. Man bläst Trübsal, vornehmlich allein, weil man abends nur noch unterwegs ist, wenn man wirklich muss. Das Auswärtige Amt rät von „nicht notwendigen Reisen“ nach Kenia ab, in Nairobi bleibt man besser innerhalb der Stadtgrenzen. Aufs Land fährt schon lange niemand mehr.

Wer Nairobi kennt, wird sich wundern. Von den Gräueltaten in den Slums, wo gewalttätige Banden unterschiedlicher Ethnien aufeinander losgehen, ist man im wahrsten Sinne des Wortes weit entfernt. Kaum eine Stadt in Afrika ist so segregiert wie Nairobi: Die von den Briten vor gut 100 Jahren etablierte Apartheid hat sich bis heute erhalten. Die Ärmsten leben in den Tälern des Nairobiflusses, wo schon immer die schlimmsten Lebensbedingungen und meisten Krankheiten herrschten. Auf den Hügeln Nairobis leben die Reichen und fast alle Ausländer, auf den schmalen Hängen die schmale Mittelschicht. Der einzige Unterschied zu 1900 ist, dass auf den Hügeln inzwischen auch schwarze Kenianer leben, wenn sie reich genug sind.

Dürfen sich die Leute auf den Hügeln eine Depression leisten? Darf man deprimiert sein, wenn man sich täglich fragen muss, ob die Hausangestellten morgen wieder aus ihren Hütten in den Armenvierteln zurückkommen, die sie nicht zugunsten einer Unterkunft bei uns verlassen wollen, weil sie dann alles verlieren können? Darf man deprimiert sein, weil der nette Gemüsehändler von nebenan nicht mehr alle Kunden bedient, sondern nur die, die seiner Ethnie angehören? Weil die Politiker, die auch auf den Hügeln leben, so tun, als gäbe es die Krise gar nicht, die die Hälfte des Landes schon zerstört hat? Man darf, man kann vielleicht gar nicht anders.

Die Unsicherheit gibt einem den Rest. Die einen reisen schon ab, die anderen haben ihren gepackten Koffer für den unwahrscheinlichen Fall der Evakuierung im Flur stehen: nur einer pro Familienmitglied, nicht schwerer als 15 Kilo, Name mit Klebeband innen und außen angebracht. Während die Französische Botschaft ihre Staatsbürger mit vielleicht zu vielen Informationen überschüttet, sind die Deutschen zu wortkarg. Nicht eine einzige E-Mail oder SMS hat die immerhin 5.000 Kenia-Deutschen seit Beginn der Unruhen erreicht. Es soll keine Panik geschürt werden. Doch das letzte Mal, als ich deutsche Freunde traf, waren alle panisch, weil keiner von uns sicher war, ob er eigentlich wirklich bei der Botschaft registriert ist.

MARC ENGELHARDT