ortstermin
: Lasst Kohl um mich sein

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Herren in dunklen Anzügen machen Konversation, das feine Fürstenberger Porzellan klirrt und Grünkohlduft liegt in der Luft. Es ist wieder so weit: In der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin hat die Stadt Oldenburg zum 51. „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ geladen.

Oldenburg und seine 160.000 Einwohner arbeiten seit 50 Jahren an dem Langzeitprojekt, sich selbst auf die politische Agenda der Hauptstadt zu setzen. Als ihnen 1955 Theodor Heuss einen Besuch verwehrte, erfanden sie deshalb das „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“. Bis 1997 in Bonn, seitdem in Berlin, trifft so die Oldenburger Politprominenz bei deftigem Essen und deftigen Ansprachen auf die niedersächsischen (Christian Wulff) und bundesdeutschen (Brigitte Zypries) Kollegen. Wohl aufgrund der Bonner Wurzeln hat man sich die Parallelen zum Karneval bewahrt.

Während die 280 geladenen Gäste im großen gläsernen Foyer der Landesvertretung feiern, machen es sich die Journalisten nebenan in der Friesenstube gemütlich. Da ist es eigentlich ganz nett, man ist unter sich und die Mitarbeiter der Landesvertretung, die ebenfalls am Katzentisch sitzen müssen, plaudern ein bisschen aus dem Nähkästchen. Nur die obskure A-Capella-Gruppe der Musikschule Oldenburg, die sich auf ihren Auftritt vorbereitet, nervt mit ihren Stimmübungen. Spätestens beim „Heil dir, oh Oldenburg“ wird man sich wünschen, sie hätten noch etwas mehr geübt.

Heute wird Ole I (alias Erster Bürgermeister von Hamburg) die Königswürde an Außenminister Frank-Walter Steinmeier weitergeben. Viele herausragende Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte durften das hohe Amt des Göönkohlregenten bekleiden: Unter anderen Helmut Schmidt (1978), Annemarie Renger (1982), Helmut Kohl (1984), Gerhard Schröder (1992), Joschka Fischer (1996) und auch Angela Merkel (2001). Die heutige Kanzlerin ist übrigens eine von bisher nur vier Gröönkohl-Königinnen. Der Gröönkohl ist wohl eine der letzten Männerdomänen der Bundesrepublik. Gender Mainstreaming scheint sich in Oldenburg noch nicht durchgesetzt zu haben.

Die Rede des Oldenburger Oberbürgermeisters Gerd Schwandner ist lang, aber selten lustig und so freut man sich auf die Laudatio der obersten Kurfürstin, die offiziell den neuen GröönkohlKönig bekannt geben wird.

Kurfürstin ist die Sängerin und NDR-Moderatorin Ina Müller (hervorgetreten durch Hits wie „Bye-bye Arschgeweih“), denn nachdem Schwandner den langjährigen Kollegiumsvorsitzenden und ehemaligen Niedersächsischen Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke schroff per Brief abgesägt hatte, musste man sich in diesem Jahr kurzfristig jemand Neues suchen. Müller schien vielen eine gewagte Wahl zu sein; mit ihrer „Laudatio“ übertrifft sie die schlimmsten Befürchtungen. Sie plaudert über beim Freiluftsex in den Sylter Dünen zugezogene Pilzinfektionen und Hausschlachtungen – im Stile von „In die Wurst kam dann der ganze Rest“. Da bleibt Guido Westerwelle selbige im Halse stecken und während sich Bundestagsvizepräsident Thierse verständnislos den Bart krault, versucht der designierte Kohlkönig Steinmeier ein Lächeln – und scheitert.

Auch die neue Kohlmajestät, Frank Walter Steinmeier bringt den Saal nicht gerade zum Toben. Dabei gibt er sich, gerade von der de Außenministerkonferenz zum Thema Kosovo eingeflogen, alle Mühe. Mit Pointen wie „wenn man Niedersachsen auf 1.000 Quadratmeter zusammenfasst, dann ist richtig was los – so verläuft sich‘s halt“, bringt er die Zuhörer immerhin gelegentlich zum Lachen. Und natürlich hat er ein Versprechen für die Gröönkohl-Untertanen: „Meine erste Amtshandlung ist, dass es ab morgen in der Kantine des Auswärtigen Amts Grünkohl gibt.“ Lang Lebe der König! INGA HELFRICH