: berliner szenen „Ich will die Bilder“
Mit vierzehn im ICE
„Die Fensterplätze!“, ruft er. „Was? Für uns reserviert?“, ruft sie. „Meinem Geburtstagsgast muss ich doch was bieten“, kommt als Antwort. Sie wirft sich in den Sitz. Stöpselt die Kopfhörer des MP3-Players ein. Greift zum Handy. Schreibt eine SMS. Ruft ein Computerspiel auf. Er fragt laut in ihre Musik hinein, ob es ihr gefällt? Sie sagt: „Ja, danke, Markus“, die Augen festgenagelt am Display. Zapp. Die Augen hoch und aus dem ICE-Fenster geschaut. Zapp. Zurück zum Computerspiel. Ihr Daumen fliegt über die Tastatur. Die Bässe wummern. Der Hochleistungszug sirrt.
Nun holt der Jugendliche eine Digi-Kamera aus der Tasche. Sie setzt sich in Pose, nimmt einen Ohrstöpsel heraus und fragt, ob sie sein Handy haben kann. Ein wichtiger Anruf, ihr eigenes Guthaben sei leider verbraucht. Der Angerufene wird angewiesen, zu ihren Eltern zu fahren und die Stiefel, die schwarze Strumpfhose, das enge Kleid in ihrem Zimmer zu finden. „Ist alles irgendwo“, sagt sie, „in der Kommode, im Wäschestapel, auf dem Bett, such mal – und halt! – bring auch das Paket mit, das heute gekommen ist.“ Der das für sie macht, wird dann zum Bahnhof einbestellt, um sie abzuholen. „Danke, Chris. Zweieinhalb Minuten, Markus“, sagt sie. Erneut ist die für ihn unerreichbare Prinzessin voll verkabelt und posiert für die Kamera. „Ich will die Bilder“, sagt sie. Später will sie Markus anhand von Fotos zeigen, was für eine tolle Figur sie heute Abend gemacht hat, in ihrem neuen Kleid. Ihre Stimme gleitet beinahe aus vor Hast.
Der Zug drosselt das Tempo, wir erreichen Hannover. Einen schönen Geburtstag noch, wünschen die Mitreisenden und fragen einander, als die zwei fort sind, was das eigentlich für eine Zeit war, damals, mit vierzehn.
GUNDA SCHWANTJE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen