SERBIENS REGIERUNG VERSTUMMT VOR DER NATIONALISTISCHEN EMPÖRUNG
: Kosovo lässt Volksseele kochen

Vereinzelte Krawalle, einige dutzend eingeschlagene Fensterscheiben, einige demolierte Autos: das ist die Bilanz in Serbien, nachdem das Kosovo am Sonntag die Unabhängigkeit ausrief. Halb so wild, könnte man sagen – auch wenn westliche Botschaften und Firmen das Ziel der antiwestlichen Ausschreitungen waren. Auch die Straßenschlachten, die sich hunderte Hooligans mit der Polizei lieferten und die über achtzig Verletzte forderten, wären noch kein wirklicher Grund zur Sorge: Solche Szenen kennt man auch von Fußballspielen.

Was aber Sorge macht ist, dass die Staatsspitze das nationalistische Wüten nicht energisch genug verurteilt hat. Im Gegenteil: Aus Überzeugung, oder aus Angst, dass sich der Zorn des Plebs gegen sie richten könnte, zeigten einzelne Minister und Politiker Verständnis für den „gerechtfertigten“ Ausbruch der Gewalt eines Volkes, dem Unrecht angetan worden sei. Eine Haltung, die diverse nationalistische und neofaschistische Organisationen als grünes Licht verstehen könnten, auf alles Westliche oder Nichtserbische einzuschlagen.

Bisher waren es nur Einzelfälle, die allerdings noch in systematische und organisierte Gewalt umschlagen könnten. Das aufzuhalten, wird für die Regierung keine einfache Aufgabe sein – in einem Land wie Serbien, in dem es Millionen Arbeitslose und Frustrierte und hunderttausende Flüchtlinge aus dem Kosovo gibt. In Serbien sind die Kriegswunden nicht verheilt.

Die große Kosovo-Kundgebung am Donnerstag in Belgrad sollte den angesammelten Unmut der Bevölkerung friedlich entladen. Viele Serben können nicht nachvollziehen, warum die EU einem souveränen Land widerrechtlich einen Teil seines Territoriums wegnimmt. Sie haben das Gefühl, als werde dem Serbentum das Herz herausgerissen.

Vielleicht wird man sich in Serbien irgendwann mit der Realität abfinden und das Kosovo ziehen lassen. Momentan sieht es allerdings nicht danach aus. Statt scharf auf die Ereignisse im traumatisierten Serbien zu reagieren, sollte die EU Geduld haben und alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Lage zu entschärfen. ANDREJ IVANJI