Der gute Wille zählt

Einmal Goethestraße

Es gibt nicht ganz so viele Goethestraßen in Berlin wie Goethedramen im gut sortierten Bücherschrank. Aber es sind viele. Die Goethestraße in Charlottenburg ist in erster Linie lang. Und dabei erstaunlich schmal. Auf der gesamten Länge dieser Schmalheit trifft man allerhand architektonischen Mischmasch. Altbauten wechseln sich mit Häusern ab, die einmal modern aussehen wollten.

Jetzt sind ihre Kunststofffassaden dunkel angelaufen. Was man den ansässigen Läden und Restaurants nicht vorwerfen kann, ist mangelndes Bewusstsein für ihre kulturelle Verantwortung. Nicht jeder hat schließlich das Glück, in einer Straße mit so einem prominenten Namensgeber beheimatet zu sein. Besonders originell: „Wohngedicht“. So nennt sich ein Hotel im gediegeneren östlichen Ende der Straße. Weiter westlich findet man das Restaurant „Mythos“. Der Blumenhändler gegenüber heißt „Rosenkavalier“. Zugegeben. Der Kulturexperte mit Opernkenntnis mag hier ein paar inhaltliche Unschärfen monieren, aber der gute Wille zählt.

Aus „Lotti’s Goethe-Eck“ stakst vorsichtig ein alter Mann mit Basecap und blinzelt in die Vormittagssonne. Fast wäre er mit einem Langzeitstudenten kollidiert, dessen Haare sich gerade mit seiner John-Lennon-Brille verheddert haben. Wenn sie gemeinsam ein wenig die Straße hinunterspazieren würden, könnten sie zusammen über die Fantasie der Ladenbesitzer lachen. Aber der Student ist zu sehr mit seiner Brille beschäf- tigt, um einen Sinn für die liebevolle Benennung seiner Umgebung zu entwickeln. Und der Alte schaut in eine ungewisse Ferne. Wer weiß, was ihm von da gerade zugerufen wird. Vielleicht ein guter Reim.

WIEBKE POROMBKA