Spannungsbögen wie Möbiusbänder

Der Free-Jazz-Pianist Cecil Taylor und der Schlagzeuger Tony Oxley spielten am Mittwoch in der Philharmonie

Große Kunst erlaubt es einem, für kurze Zeit ganz in ihrer Gegenwart zu sein. Oft duldet sie dabei keinen Widerspruch. Wird sie zu fordernd, bleiben nur vollständige Hingabe oder die Flucht. Für die Musik Cecil Taylors gilt dies schon seit einigen Jahrzehnten. Taylor, ohne Übertreibung einer der größten Pianisten nicht nur des Jazz, polarisiert mit seinem solitären Musikverständnis auch heute noch, wie man am Mittwoch im Kammermusiksaal der Philharmonie erleben konnte: Während seines gemeinsamen Konzerts mit dem Schlagzeuger Tony Oxley verließen zahlreiche Besucher vorzeitig den Saal.

Taylor und Oxley, ein bestens aufeinander eingespieltes Duo, taten dabei eigentlich nichts anderes als sonst: Sie improvisierten frei. Doch auch zwanzig Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Auftritt macht ihre Musik, die aus kleinsten Zellen ausgreifende Spannungsbögen wie Möbiusbänder entstehen lässt, keine Gefangenen. Und dies trotz des hohen Alters der beiden Weggefährten – Taylor wird im März 79, Oxley ist 69 Jahre alt. Von einer Melancholie des Spätwerks keine Spur.

Mit der Zeit ist Taylor, der den Tasten früher gnadenlos aggressiv zu Leibe rückte, etwas zurückhaltender in seinem Spiel geworden. Lyrische Momente gab es in der Philharmonie häufiger als früher, gelegentlich war der Einfluss von Impressionisten wie Claude Debussy deutlich herauszuhören. Doch im nächsten Moment erfüllte sie blitzartig wieder den Raum, diese unheimliche Energie, die von Taylors Musik ausgeht und die in früheren Konzerten manchmal klaustrophobische Ausmaße annehmen konnte, wenn die im Raum umherfliegenden Akkordsplitter kein Ende nehmen wollten.

Man muss Taylor spielen hören und sehen, um die Kraft – und Gewalt – seiner Musik richtig nachvollziehen zu können. Stets leicht exzentrisch gewandet, in Tennissocken und bewegungsfreundlicher Hose, sitzt er mit weit aufgerissenen Augen an den Tasten, die er mit elegant federnden Bewegungen seiner Hände streift, um sie unvermittelt an den Körper zu reißen oder zu Fäusten für den nächsten Clusterdonner zu ballen.

Tony Oxley dagegen wirkt wie ein schmächtiger Kunstlehrer, der schlaff an seinem Flohmarkt-Schlagzeugset lümmelt. Sein schlohweißes Haar lässt an Otto Schily denken, der für ein paar Monate vergessen hat, den Friseur zu besuchen. Mit fahrigen Ruderbewegungen schüttelt er vertrackteste Polyrhythmen aus dem luftig sitzenden Ärmel und kontert dabei scheinbar mühelos Taylors Hochspannungsattacken.

Manchmal schienen die beiden gegeneinander zu spielen, vor allem zu Beginn des Konzerts, als der Flügel vom Schlagzeug weitgehend überdeckt wurde. Doch in der zweiten Hälfte ihres Auftritts erreichte ihr Zusammenspiel eine derart elektrifizierende Dichte, dass man fast befreit aufatmete, als Taylor plötzlich vom Flügel aufsprang, um seine Lyrik zu rezitieren, und sich erst nach einigen Runden über die Bühne wieder an sein Instrument setzte. Dass man vom Text nur wenig verstehen konnte, machte weiter nichts.

Im Vergleich zu der verstörenden Euphorie, die Taylor und Oxley auslösten, nahm sich der Auftritt der überwiegend mit jungen Musikern besetzten Ulrich Gumpert Workshop Band weit konventioneller aus. Das achtköpfige Ensemble um den Pianisten Gumpert spielte ein Programm mit Titeln von Charles Mingus ganz im Sinne des Schöpfers, mit einer präzise artikulierenden Rhythmusgruppe, die virtuos die Balance zwischen kompaktem Arrangement und Strukturauflösung wahrte. Allein das Klavier war so sehr im Hintergrund, dass es vom Bläsersatz manchmal fast gänzlich übertönt wurde. Doch auch mit Bandleader-Understatement ein stimmiges Tribut und ein schöner Auftakt für die hoffentlich noch einige weitere Jahre sprachlos machende Kunst Cecil Taylors.

TIM CASPAR BÖHME