Eine schwierige Geschichte

Deutsche und Serben eint ein langes Hin und Her in den Beziehungen zwischen beiden Ländern und ihren politischen Regimen im zwanzigsten Jahrhundert. Das hat auch in diesen Tagen wieder Folgen

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Für die serbischen Nationalisten gehören die Deutschen traditionell zu den Hauptfeinden. Die Amerikaner dagegen erst seit ein paar Jahrzehnten. Warum sollte also nicht auch die deutsche Botschaft brennen?

Bereits bevor der Krieg im ehemaligen Jugoslawien 1991 begann, war es nicht immer komfortabel, Deutscher in Serbien zu sein. Denn die seit Mitte der Achtzigerjahre in Serbien betriebene Propaganda mobilisierte nicht nur Ressentiments innerhalb des Vielvölkerstaats Jugoslawien. Auch die Nationen Europas und der Welt wurden in Gut und Böse unterteilt – je nachdem ob sie historisch für oder gegen die Serben agierten. Und die Deutschen waren sehr böse.

Als die von Serbien ausgerüsteten Terroristen der Gruppe Mlada Bosna (Junges Bosnien) 1914 den Thronfolger des Habsburgerreichs, Franz Ferdinand, ermordeten, begann der Erste Weltkrieg, in dem Serbien recht erfolgreich gegen Österreich und damit auf der Seite der Alliierten kämpfte. Als Adolf Hitler 1941 den serbischen König in eine Allianz mit den Mittelmächten zwingen wollte, putschten einige königstreue Generäle und zwangen die Deutschen zu einem ungeliebten Feldzug auf dem Balkan. Denn die Wehrmacht war schon dabei, den Russlandfeldzug vorzubereiten. Für den russischen Sieg ausschlaggebend gewesen zu sein gehört seitdem zum serbischen Stolz.

Die meisten Deutschen differenzierten dagegen lange Zeit nicht nach Serben, Kroaten, Bosniern oder Albanern, für sie waren alle Jugoslawen – selbst nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens. Die geschichtliche Erinnerung war verloren, auch verdrängt. Erst mit Beginn des heißen Krieges in Slowenien und Kroatien begann sich wieder Interesse an der Geschichte dieses Raums über die Spezialisten an den Universitäten hinaus zu regen.

Die Diskussion über die diplomatische Anerkennung Kroatiens beschleunigte den Prozess. Im Herbst 1991 gelang es den serbischen Truppen, ein Drittel Kroatiens zu erobern, die Stadt Vukovar zu zerstören, Dubrovnik einzuschließen und mehr als 500.000 Menschen zu vertreiben. Damals entschloss sich der amtierende deutsche Außenminister Hans Dietrich Genscher, für die diplomatische Anerkennung der Republiken Kroatien und Slowenien zu werben. Am 15. Januar 1992 schließlich wurde die Anerkennung von Slowenien und Kroatien durch alle Länder der damaligen Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme Griechenlands ausgesprochen. UN-Truppen kamen ins Land. Das politische Ziel der serbischen Nationalisten, die Gründung eines ethnisch reinen Großserbien auf den Trümmern Jugoslawiens, war jedoch zerstört. Und das in ihren Augen vor allem durch die Deutschen.

Seither wird die Diskussion mit den Serben in der deutschen Öffentlichkeit auch etwas selbstbewusster geführt. Man erinnerte die Serben daran, dass Tito 1946 den königstreuen serbischen Tschetnikführer Draža Mihailović wegen Kollaboration mit der Wehrmacht und der SS hinrichten ließ. Und auch daran, dass die Nazis schon am 17. April 1941 ein Quisling-Regime in Serbien etabliert hatten. General Milan Nedić wurde von der serbischen Faschistenpartei ZBOR, den Ljotić-Truppen und anderen Tschetnikverbänden unterstützt, selbst bei der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Mit dem Antifaschismus der Serben ist es also auch nicht so weit her.

Doch das will wiederum in Serbien fast niemand wahrhaben. Bis heute wird diese Episode der serbischen Geschichte in der breiten Bevölkerung verdrängt. Auch wenn viele Serben seit den Siebzigerjahren in Deutschland arbeiten und leben – und dies auch gerne tun: Es halten sich hartnäckig die politischen Urteile über die Deutschen. Wer als Deutscher gegen die Verbrechen der Serben in den letzten Balkankriegen Stellung bezieht, findet sich in den Augen vieler Serben im Lager des Faschismus wieder, während man über die eigenen Verbrechen der Neunzigerjahre in Bosnien und auch im Kosovo nicht sprechen will.

Man kann die Verbrechen der Vergangenheit nicht mit denen der Gegenwart aufrechnen und schon gar nicht die heutigen rechtfertigen. Wer Konzentrationslager errichtet und Genozide begeht, muss bekämpft werden. Dies wäre eine selbstbewusste deutsche Reaktion in den Neunzigerjahren gewesen. Doch die Deutschen trugen Samthandschuhe. Sie hätten ein schlechtes Gewissen wegen des Bombenkriegs, erklärte kürzlich der in Berlin lebende serbische Schriftsteller Bora Ćosić. Eine Erklärung für das manchmal viel zu weiche Vorgehen der internationalen Gemeinschaft gegen serbisch-nationalistische Extremisten in Bosnien – und auch jetzt im Kosovo – liegt in der deutschen Politik der letzten Jahre. Die ehemaligen Waffenbrüder, Briten wie Franzosen, sind dagegen keineswegs zimperlich. Die Strategie, über Wirtschaftskontakte und die Perspektive EU-Integration das serbische Denken in eine andere Richtung zu lenken, ist jedoch dieser Tage wiederum gescheitert.

Denn im serbischen Denken ist nicht der Aufbau eines Rechtsstaats wichtig, es gilt, die eigenen Nation gegen alle Mächte der Welt zu verteidigen. Dazu sind alle Mittel recht. Auch Terrorismus, wenn es sein muss. Solche Propaganda kennen die Deutschen ja sehr gut.