press-schlag: „Ein Barbar bin ich hier“
Warum es normal ist, dass auf einem Fußballplatz schlimme Dinge passieren
Dass es auf einem Fußballplatz nicht zugeht wie in einem Lyzeum, das ist selbst sportfernen Schichten bewusst. Gern deuten kreative Geister den Fußballplatz zum Schlachtfeld um, auf dem sich feindliche Bataillone gegenüberstehen, bereit, ihr Pulver zu verschießen und bis zum Umfallen zu kämpfen.
Ein paar Regeln verhindert, dass Blut fließt in der testosterongeschwängerten Atmosphäre eines Mannschaftsduells. Beine brechen aber schon manchmal, wenn Rüpel das Regelwerk übertreten. Am Brasilianer Eduardo von Arsenal London wurde am Samstag ein abscheuliches Foul begangen. Sein Schien- und Wadenbein hielt dem Tritt des Birmingham-Tacklers Martin Taylor nicht stand. Ein virulenter Fall von Körperverletzung ist das. Meist geht es den Spielern aber nur ans Gemüt.
Vor allem die Feingeister und Seidenfüßler müssen sich von Brachialwerkern und Grobmotorikern übel beschimpfen und bearbeiten lassen. Der Mann vom Stiefel, Marco Materazzi, gab einst vor, der Schwester von Zinedine Zidane beigewohnt zu haben – und wurde vom zornesroten Franzosen zu Boden gerammt. Eine verständliche Reaktion angesichts der Schwere der Materazzi’schen Einlassung.
Am Wochenende nun wurde der Spartaner Sotirios Kyrgiakos vom kleinen Diego zidanesk umgenietet, weil Ersterer eine Verbalinjurie ins Gesicht des Bremer Führungsspielers geschleudert hatte. Nach Diegos Überlieferung soll der Abwehrschrat in Diensten von Eintracht Frankfurt gesagt haben: „Fuck you and stand up!“ Nun ja. Das ist nicht der Rede wert, eine lächerliche Nichtigkeit im Sturm der Aggressionshormone, der 90 Minuten über den Platz fegt.
Diego hatte kein Recht, den großen Zidane zu zitieren. Er hätte drüberstehen und als leuchtendes Beispiel für kultivierten Fußball vorangehen müssen. Doch wie wusste schon Ovid: „Gutta cavat lapidem – Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Diego muss Spieltag für Spieltag Nickeligkeiten und Provokationen sonder Zahl erdulden, er ist eben auch nur ein Mensch, dem manchmal der Sinn nach simpler Rache steht. Er wird sich gedacht haben: Dieser Sotirios Kyrgiakos wird’s schon vertragen, wenn ich ihn etwas stupse.
Aber wer ist nun Opfer, wer Täter? Hat Kyrgiakos Schuld an Diegos Roter Karte, hat er sich spektakulär fallen lassen? Hätte der Schiedsrichter nicht auch den Trash-Talker bestrafen müssen, wenigstens mit Gelb? Der Grieche, der nun ins Visier der Bremer gekommen ist, findet freilich Trost beim alten Ovid: „Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli“, hat der einmal niedergeschrieben. „Ein Barbar bin ich hier, weil ich von keinem verstanden werde.“ Nicht jeder ist eben zum Dribbelkünstler geboren. Kyrgiakos weiß das.
MARKUS VÖLKER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen