Ein Titel ohne Schutz

Im Winterschlussverkauf ringen Oldenburg und Lübeck um die für 2009 letztmals vergebene Auszeichnung als „Stadt der Wissenschaft“. Mit der Elite-Uni-Stadt Konstanz haben die Schnäppchenjäger aber übermächtige Konkurrenz – um einen Namen, den sich ohnehin jeder selbst verleihen kann

von FELIX ZIMMERMANN
und BENNO SCHIRRMEISTER

Um es vorweg zu sagen: Es ist bestimmt nicht das letzte Mal, dass der Stifterverband der deutschen Wissenschaft den Titel vergibt. „Es soll 2011 weitergehen“, sagt Michael Sonnabend, der das Programm „Stadt der Wissenschaft“ betreut, „wenn auch das Antragsverfahren verändert wird“. Klar, würde er das nicht sagen, dann hieße das: Die Auszeichnung 2009 wäre nur die letzte Station eines fünf Jahre anhaltenden Misserfolgs. Und das fänden die Repräsentanten der heute auszurufenden Siegerstadt wahrscheinlich gar nicht lustig. Es entspräche ja auch nicht den Zahlen. Die signalisieren nämlich: Wachstum. So ist die Jury von anfänglich sechs inzwischen auf 17 Köpfe angeschwollen. Und die Zahl der Bewerberinnen für 2009 hat sich, im Vergleich zum Vorjahr, sage und schreibe verdreifacht! Sogar im Finale ist noch eine Stadt mehr, als für 2008 überhaupt im Rennen waren: Lübeck und Oldenburg sind dabei, und mit diesen vielfach gerühmten norddeutschen Oberzentren versucht der Elite-Uni-Standort Konstanz mitzuhalten.

In einem heißen Duell mit Potsdam hatte – weitgehend unbemerkt – Jena den Titel Stadt der Wissenschaft 2008 errungen. „Es war eine ganz knappe Entscheidung“, verkündete Joachim Treusch vor einem Jahr. Treusch ist Jury-Vorsitzender. Das war er schon 2004, als er im März Bremen als Titelträgerin 2005 ausrief. Nach einer Schamfrist von sechs Monaten gab er dann seinen eigenen Wechsel an die Weser bekannt: Er ist dort seit zwei Jahren Präsident der privaten Jacobs University.

Aber das muss man nicht bemerkenswert finden. Schließlich ist er weder in Dresden – das war die Stadt der Wissenschaft ’06 – noch in Braunschweig – ’07 – für akademische Ämter im Gespräch. Und die Suche für eine Titelträgerin im Jahr 2010 braucht er gar nicht anzutreten: „Es war“, sagt Michael Sonnabend vom Stifterverband, „ohnehin vorgesehen, den Wettbewerb auszusetzen.“ Also sei „das mit Berlin“ sogar ganz gut. Berlin hat sich nämlich ganz selbstständig zur Stadt der Wissenschaft 2010 erklärt. Das durfte der Stadtstaat – weil der Stifterverband keinen Titelschutz angemeldet hat: Auch der Uni-Verbund Nürnberg-Erlangen bezeichnet sich rechtmäßig als „Stadt der Wissenschaften“, und wenn es morgen der taz nord gefiele, sich so zu nennen, dürfte ihr das niemand verwehren. Zwar gibt’s dafür dann keine 250.000 Euro – damit ist die Auszeichnung dotiert. Aber: Auch das Risiko des Scheiterns entfällt. Das existiert ja sogar bei einem kleinen Teilnehmerfeld – Potsdam kann ein Lied davon singen.

Für die dortige Wissenschaftslandschaft hatte der Stifterverband dann aber immerhin ein Trostpflaster übrig – er bezahlt ein Faksimile des preußischen Toleranzedikts von 1685. Und in dieser Richtung will man auch für die Zukunft des Titelkampfs denken. In dessen erster Runde sollen, so Sonnabend über den Stand der Planung, nur noch Bewerbungsskizzen abgefragt werden. Aus denen wählt die Jury Finalistinnen. Und deren Vollbewerbung „könnte dann finanziell unterstützt werden“. Das erhöht die Attraktivität der Teilnahme natürlich beträchtlich. Gott, wie ärgerlich für die 2009er-Kandidatinnen! Die sind noch für lau angetreten.

Ganz aufgegeben haben die Stifter die Hoffnung auf überregionale Resonanz. Es sei ja auch „nachzuvollziehen, dass das bundesweit nicht so die Ausstrahlung hat“, so Sonnabend. In der Zeit gab es seit 2004 vier Nennungen. Das sind überproportional viele. Allerdings sitzt auch der Leiter des Wissen-Ressorts seit jeher in der Jury. Mit Seitenhieb auf diese Koinzidenz stellte die FAZ anlässlich der Erstverleihung fest, dass die Auszeichnung „in die Reihe jener Titel gehört, mit denen das Land unter Beipflichtung mitmachgeneigter Medien sich die Suggestion verschafft, es gehe voran“. Was etwas unfair ist, weil Konstanz solche Autosuggestion nicht nötig hat. Sei’s drum. „Viel wichtiger ist uns“, sagt Sonnabend, „dass etwas Bleibendes für die Region herauskommt.“ Ein gutes Beispiel ist da Bremen: Dort hat 2005 ein privater Investor ein Haus der Wissenschaft eingerichtet. Und der Senat eine der größten Haushaltskürzungen in der Geschichte der deutschen Unis seit dem Zweiten Weltkrieg auf den Weg gebracht. Daran hat der Wissenschaftsstandort noch lange zu knabbern.