Mit Absicht unter die Gürtellinie

Geschmacklos, aber politisch: Eine Gruppe Hamburger Kunst- und Theaterstudierender bietet sich im Internet als Leihmütter und Samenspender an – im Tausch gegen einen Satz Semestergebühren. Das ist illegal und will als künstlerischer Protest gegen die „Materialisierung von Bildung“ verstanden werden

Die niedersächsischen Hochschulen sind uneinig in der Frage, ob die Studiengebühren flexibler gestaltet werden sollen. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die Landesregierung will auf Drängen der FDP prüfen, ob die Hochschulen künftig die Höhe der Beiträge bis zu einer Grenze von 500 Euro selber festsetzen können. Einigkeit herrscht dagegen darüber, dass Studenten für ehrenamtliches Engagement die Studiengebühren teilweise oder ganz erlassen werden könnten. Das hatte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) vorgeschlagen.

„Das ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung“, erklärte der Sprecher der Universität Osnabrück, Utz Lederbogen. Den Hochschulen könnte dadurch mehr Autonomie gewährt werden. Kleineren Hochschulen gebe die Möglichkeit, weniger als 500 Euro zu verlangen, ein Marketing-Instrument an die Hand, ergänzte sein Kollege von der TU Clausthal, Christian Ernst. Dem Sprecher der Leuphana-Universität Lüneburg zufolge haben die dortigen Hochschulgremien den möglichen Spielraum nicht diskutiert.

In Oldenburg lehnt man eine Flexibilisierung ab: „Für die Universitäten wäre das nicht leicht, wenn der gerade abgeschlossene Prozess wieder aufgerollt würde“, teilte die Ossietzky-Universität mit. Ähnlich äußerte sich die Universität Göttingen: Eine Verringerung der Gebührenhöhe bedeute einen Rückschritt hinter den Status Quo. Das Land solle sich lieber um ein Stipendiensystem bemühen. Auch die Uni Hildesheim sprach sich gegen die Pläne der Landesregierung aus: „Das wäre eine Aufhebung der Vereinheitlichung und damit unfair.“  DPA

VON FLORIAN ZINNECKER

Andere gehen auf die Straße oder überweisen einfach nicht. Beides haben die Studierenden der Hamburger Kunsthochschule und der Hochschule für Musik und Theater längst hinter sich – erfolglos. Ihr Protest gegen Studiengebühren geht seit drei Wochen einen Schritt weiter – und überschreitet, so meinen viele, auch die Grenzen des guten Geschmacks: Mit Foto und Steckbrief auf der eigens gegründeten Online-Plattform studentenbaby.de bieten sich Studentinnen als Leihmütter an. Etwa Carla, 21: Umfangsmaße 84-67-88, Abischnitt 2,0, Sozialmilieu: Mittelstand. Ihre männlichen Kommilitonen verhökern währenddessen Sperma – darunter Daniel, 21: Blutgruppe A, IQ 142, soziales Umfeld stabil.

„Wir schenken Leben. Schenken Sie Zukunft“, lautet das Motto der Aktion – und die Methode „Kind gegen Studiengebühr“. Wer ein Baby mit den Erbanlagen seines Lieblingsstudenten kaufe, sichere auch die akademische Zukunft eines jungen Menschen, heißt es in einer eigens formulierten Pressemitteilung. Jeder Satz Akademikergene, egal ob als Samenspende oder Leihmutterschaft, kostet 500 Euro – den Gebührensatz für ein Hochschulsemester in Hamburg und anderswo.

„Was für ein Kindergeburtstag“, kritisiert ein Besucher der Homepage im virtuellen Gästebuch. Ein Schlag ins Gesicht für jeden, der tatsächlich auf eine Samenspende angewiesen sei, gibt ein anderer zu bedenken. Auch der AStA der Universität Hamburg äußert Bedenken. Die „Studentenbaby“-Aktion erscheint ihm höchst suspekt, die Art des Protests mehr als fragwürdig: „Wir haben damit nichts zu tun.“ Andere interessieren sich umso mehr dafür: Nach mehrfachen Anfragen überregionaler Medien, darunter Spiegel Online, reagieren die Macher auf das für eine Protestaktion gegen Studiengebühren immense öffentliche Interesse äußerst routiniert. Interviews? Gerne – nur eben nicht persönlich.

Hinter studentenbaby.de steht eine Handvoll Studierender der Hochschule für Kunst und jener für Musik und Theater. Alle sollen zwischen 20 und 30 Jahre alt sein – mehr ist nicht zu erfahren, die Beteiligten sind auf größtmögliche Anonymität bedacht. Es gehe schließlich um die Botschaft statt um Personen, so argumentieren sie. Legal ist die Sache trotzdem nicht: Leihmutterschaft, die den Raum des virtuellen Protests verlässt, verstößt gegen das Embryonenschutzgesetz.

Die anonymen Studierenden kann das nicht schrecken: „Wir überschreiten die juristischen Grenzen in vollem Bewusstsein“, erklären sie – amtierende Politiker würden mit dem Grundrecht auf Bildungsfreiheit ja genauso verfahren. Nachdem Bildung immer stärker vom Budget abhänge, müsse der Fokus zurück auf Interessen und Begabungen des Einzelnen geschoben werden – auf die Erbanlagen. Dessen „Materialisierung“ sei eine bloße Erwiderung auf die Materialisierung von Bildung – „und ein logischer Schritt, wenn man bedenkt, dass etwa im Gebührenland Frankreich prostituierte Studentinnen schon zum Uni-Alltag gehören“. Vor diesem Hintergrund sei die Plattform nicht nur als politischer, sondern auch als künstlerischer Protest zu verstehen.

Sollte also doch alles nur Satire sein? Nicht nur, erklären die Urheber. Ein politisches Statement abzugeben und dabei sein Projekt ernst zu behaupten, müsse kein Widerspruch sein. Ernstgemeinte Anfragen hätten nicht lange auf sich warten lassen: „Interessant, dass auch vermehrt Bewerbungen aus anderen Bundesländern mit Studiengebühren eintreffen.“ Jedes Schreiben werde selbstredend gewissenhaft geprüft.