Zerstückelung als Ziel

Die Friedensaktivistin Yehudit Kirstein Keshet hat ein provozierendes und differenziertes Buch über Israels „Checkpoints“ geschrieben

Bei ihrem nächsten Israel-Besuch Mitte dieses Monats sollte die Bundeskanzlerin die Frauen von „Machsom Watch“ treffen. Sie beobachten seit 2001 das Geschehen an den Machsomim, den Kontrollposten der israelischen Armee zwischen dem Westjordanland und Israel. Kürzlich erschien ein Erfahrungsbericht über die Arbeit der Frauen- und Menschenrechtsorganisation von Yehudit Kirstein Keshet, einer der Mitbegründerinnen von Machsom Watch.

Sie schreibt zugleich provozierend („Ironischer- und tragischerweise hat die Schaffung des Gettos Palästina zur Entstehung des Gettos Israel geführt“) und differenziert. So erklärt sie, dass sich ihr Begriff der israelischen „Besatzung“ auf die militärische Eroberung des Westjordanlandes und des Gazastreifens von 1967 bezieht. Dadurch bekommt der zunächst schillernde Untertitel des Buches „Zeugnisse aus dem besetzten Palästina“ seinen präzisen Rahmen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe des Buches betont sie, dass es keinen Vergleich zwischen „Israels Unterdrückung der Palästinenser und den Untaten“ geben könne, „die im Dritten Reich in ganz Europa begangen wurden“. Keshet wurde 1943 in England als Kind geflüchteter jüdischer Berliner geboren.

Viele Gründerinnen von Machsom Watch verstehen sich wie Yehudit Kirstein Keshet als Teil der nichtzionistischen Linken in Israel. Aber es war nicht Ideologie oder Ideologiekritik, die sie zum Handeln bewog, sondern das Elend an den Checkpoints. Sie hörten von Frauen, die dort gebären mussten, weil ihnen Soldaten den Durchgang zum Krankenhaus verweigerten. Anfangs glaubten die Menschenrechtsaktivistinnen, ihre bloße Anwesenheit werde das System der Kontrollposten in die Knie zwingen. Jahre später sind sie um viele Enttäuschungen reicher. Dennoch ist Machsom Watch mittlerweile auf mehr als 500 Frauen angewachsen.

Der Prozess dieses Wachstums, die internen Diskussionen und Konflikte – all das ist spannend zu lesen. Yehudit Kirstein Keshet steht zwar manchen Entwicklungen in der Organisation kritisch gegenüber, sieht aber in der neuen Vielfalt von Machsom Watch eine große politische Chance, in die israelische Gesellschaft hinein zu wirken.

Ihre Analyse des Systems der Checkpoints unterlegt die Autorin mit Beobachtungen und Eindrücken von Machsom-Watch-Frauen. Die Berichte, aus denen sie zitiert, sind die handfesten Spuren, die die Organisation fortlaufend hinterlässt. Nachzulesen unter www.machsomwatch.org.

Betroffen sind grundsätzlich die palästinensischen Zivilisten vor und die israelischen Soldaten hinter den Kontrollpunkten – wenn auch ganz unterschiedlich. In diesem Sinne schrieb schon der palästinensisch-israelische Intellektuelle Asmi Bischara: „Die Wirklichkeit ist nur noch ein Checkpoint, und in der Wirklichkeit gibt es kein Gleichgewicht im Schrecken. Es gibt zwei Schrecken ohne Gleichgewicht, zwei Ängste ohne Ausgewogenheit.“

Durch die Kontrollposten wird die palästinensische Gesellschaft zerstört, meint Yehudit Keshet. Ihr Zweck ist die kollektive Bestrafung und militärische Überwachung der palästinensischen Zivilbevölkerung. Und sie dienen der „Zerstückelung des Landes“. Mit Sicherheitserwägungen haben die Kontrollposten jedenfalls nichts zu tun, betont Keshet. Vor allem sind die Checkpoints ein Mittel zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit und letztlich zur Verdrängung möglichst vieler Palästinenser. MARTIN FORBERG

Yehudit Kirstein Keshet: „Checkpoint Watch. Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina“. A. d. Engl. v. Ulrike Vestring, Nautilus, Hamburg 2007, 253 Seiten, 18 Euro