Gerichte abhängig von Geheimdiensten

Seit rund sechs Jahren können in Deutschland die Anhänger internationaler Terrorgruppen nach Paragraf 129b bestraft werden. In München zogen die deutschen Strafverteidiger erstmals Bilanz: Die Praxis sei „rechtsstaatlich unerträglich“

MÜNCHEN taz ■ Internationale Terrorgruppen haben in Deutschland keinen Rückzugsraum mehr. Seit 2002 können ihre Mitglieder und Unterstützer in Deutschland bestraft werden, auch wenn „nur“ Anschläge im Ausland geplant werden. Auf dem Strafverteidigertag wurde am Wochenende in München eine erste Bilanz der neuen Strafvorschrift gezogen. „Die Praxis dieser Prozesse ist rechtsstaatlich unerträglich“, sagte Jasper Graf von Schlieffen, Geschäftsführer der Strafverteidigervereinigungen.

Für Terrorgruppen, die Anschläge in Deutschland planen, gibt es im Strafgesetzbuch schon seit 1976 den Paragraph 129a. Danach kann bereits die Mitgliedschaft und Unterstützung einer solchen Vereinigung mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Für ausländische Terrorgruppen galt dies jedoch nicht. Selbst der einstige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann sah nur Probleme: Ohne vor Ort ermitteln zu können, müsse man die Struktur von Vereinigungen aufklären und prüfen, ob sie nicht vielleicht sogar zu Recht gegen eine Diktatur kämpfen.

Doch nach den Al-Qaida-Anschlägen vom 11. 9. 2001 ließ sich diese Position nicht mehr halten. Ein neuer Paragraf 129b wurde ins Strafrecht eingeführt, der auch die Mitgliedschaft und Unterstützung ausländischer Terrorgruppen bestraft. Im Gegenzug setzten die Grünen durch, dass die bloße Sympathiewerbung für Terroristen nicht mehr bestraft wird.

Derzeit laufen in Deutschland 135 Ermittlungsverfahren gegen außereuropäische Terrorgruppen, berichtete Bundesanwalt Ulrich Boeter in München. Davon haben 114 einen islamistischen Hintergrund, die meisten davon im Zusammenhang mit der Gruppe Ansar al-Islam und ihres Nachfolgers Ansar al-Sunna, die Anschläge im Nordirak verüben. Meist geht es um Geldzahlungen. Auch die erste Verurteilung nach Paragraf 129b betraf Anfang 2006 ein Mitglied von Ansar al-Islam. Der Iraker Lokman M. wurde in München zu sieben Jahren Haft verurteilt. Gegen Anhänger von al-Qaida laufen dagegen nur eine Handvoll Verfahren.

Hauptproblem solcher Prozesse ist die große Abhängigkeit von Geheimdienstinformationen, die nur schwer kontrollierbar sind. Anwalt Schlieffen sprach sogar von einer „Fremdbeherrschung des Verfahrens“. Außerdem erschwert die Strafprozessordnung die Ladung von Zeugen aus dem Ausland. „Dabei geht es hier um Sachverhalte, die sich im Ausland abspielen“, kritisierte Schlieffen.

Ankläger Boeter sah die Probleme weniger drastisch. Oft könne man sich auf Bekennerschreiben der Gruppen stützen: „Bei al-Qaida und Ansar al-Islam sind die Erklärungen meist von hoher Richtigkeit.“ Außerdem stünden viele Beschuldigte zu ihren Organisationen, „die halten das ja für richtig, was sie machen“, erklärte der Ankläger.

Auch Lokman M. war geständig und hat inzwischen als Zeuge der Anklage in ähnlichen Prozessen ausgesagt. Grund für die Kooperation war, so berichtete seine Anwältin Nicole Lehmbruck, dass M. sich von seinen Gesinnungsgenossen bedroht fühlte und mit neuer Identität in Deutschland bleiben wollte. Die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm des BKA gestaltete sich allerdings schwierig, weil Lokman M. auch auf der UN-Terrorliste stand. Er wurde erst von der Liste gestrichen, nachdem er auch umfangreiche Aussagen gegenüber dem amerikanischen FBI machte. „Mein Mandant wollte es so“, sagte Anwältin Lehmbruck. Ihr Kollege Schlieffen sieht jedoch in der Terrorliste ein weiteres problematisches Mittel, um Angeklagte unter Druck zu setzen. CHRISTIAN RATH