berliner szenen Neuköllner Kneipe

Doch kein Tuntenballett

Es ist kurz vor zwei Uhr morgens. In einem Imbiss in Neukölln stehen drei junge Männer vor der Theke. An dem einzigen Tisch sitzt ein breitschultriger Mann mit Glatze von etwa 200 Pfund und starrt in sein Bier. Die Tür öffnet sich und zwei betrunkene Männer treten ein. Der kleinere von ihnen, in weißer Leinenhose und hautengem Longsleeves, spricht mit einer betont nasalen Stimme, seine Sätze beginnen mit „Anyway, darling“.

Einer der drei jungen Männer sagt nicht zu ihm, aber in seine Richtung: „Das ist doch hier kein Tuntenballett.“ Seine beiden Freunde feixen. „Hast du mich gerade Tunte genannt?“

Die drei jungen Männer drehen sich um und stemmen die Hände in die Hüften. Derselbe, der auch schon den Tuntenballett-Satz gesagt hat, fragt jetzt: „Willst du auf die Fresse, oder was?“ Der Kleine mit dem Longsleeves tritt so nah ihn heran, dass es aussieht, als wolle er ihn küssen. Sein Begleiter bleibt hinter ihm zurück. „Hast du denn genug Mumm in deinen Knochen, um mir in die Fresse zu hauen, Schatzi?“ Bei „in die Fresse hauen“ zeichnet er mit seinen Zeigefingern Anführungszeichen in die Luft. Dann zeigt er auf den Mann mit der Glatze, der die ganze Zeit nicht von seinem Bier aufgeblickt hat. „Und wenn du mit mir ein Problem hast, hast du auch ein Problem mit ihm.“ Mit dem Ende des Satzes gibt der Mann ein Brummen von sich.

Die drei jungen Männer schlucken wie aus einem Munde, sehen sich an und verlassen den Laden. Der Kleine und sein Begleiter fangen an zu lachen. Der Kleine klopft dem Glatzkopf auf die Schulter und sagt: „Danke. Das war fein von dir. Wie heißt du eigentlich?“ Mit Blick zum Mann hinter der Theke fährt er fort: „Machst du uns mal drei große Bier?“ MARTIN SPIESS