Käsig, schweinscool und funky

Earth, Wind & Fire spielten in der Arena. Hits wie „September“, „Shining Star“ oder „After the Love Has Gone“ sind funkelnde Perlen der Popgeschichte. Unbestrittener Master of Ceremony des Abends war Bassist Verdine White

Es kommt fast nie vor, dass man es als angenehm empfindet, wenn man von irgendeinem Impresario von der Bühne weg aufgefordert wird, die Arme in die Luft zu werfen und „Yeahyeah“ zu brüllen. Oder mitzusingen. Oder hoch- und runterzuhüpfen. Auch eher selten steht man bei Livemusik-Darbietungen, um ein Feuerzeug zu entzünden und im Takt zu schwenken. All das aber passierte am Samstagabend in der Arena, wo – nach über acht Jahren Europa-Tourpause – Earth, Wind & Fire auftraten. Man durfte also eine Übung in Fremdschämen erwarten, einen peinlich sterilen Showzirkus. Doch was man bekam war ein Tiptopgroovyfunkyjazzyherzschmerzdisco-Konzert.

Earth, Wind & Fire befinden sich im 31. Jahr ihres Bestehens. Von den vier Kernmitgliedern sind drei noch dabei. Der singende Perkussionist Ralph Johnson, Bassist Verdine White und Sänger Philip Bailey. Der Vierte – Bandgründer Maurice White – hat seit über 15 Jahren Parkinson und ist zumindest live nicht mehr am Start. Earth, Wind & Fire haben acht Grammys und vier American Music Awards eingesackt. Sie haben in den Siebzigern und Achtzigern acht Doppelplatin-Alben und acht Nummer-Eins-Hits gemacht und sind seit 2000 mit einem Stern auf dem „Walk of Fame“ in Hollywood vertreten. Wie unglaublich viele ihrer Lieder man einfach kennt, von Tanzschulkursen, Hobbyraumpartys und diesen ganzen furchtbar afrokitschig dreinschauenden Platten, die man über die Jahre auf dem Boxhagener-Platz-Flohmarkt kaufte, hatte man anscheinend verdrängt. Mit Hits wie „September“ und „After the Love Has Gone“ hatte man noch gerechnet, aber daran reihten sich funkelnde Perlen der Popgeschichte: „Fantasy“, „Boogie Wonderland“, „In the Stone“, „Shining Star“, „Serpentine Fire“, „Sing a Song“, “Getaway“, „Can’t Let Go“ – und „I’ll Write a Song for You“.

Als die beiden Gitarristen auf Barhockern sitzend dieses Stück intonierten, bekam man es kurz kräftig mit der Angst. „Oh Gott, jetzt bringen sie diese wahnsinnig wunderschöne Ballade, bei der der Sänger so unglaublich prominent in den allerhöchsten Königin-der-Nacht-Falsett-Stimmlagen herumwinseln muss! Wie soll dem dicklichen alten Mann diese Kür des Rhythm-’n’-Blues-Gesangs bloß gelingen!?“ Dachte man. Aber Sorge umsonst: Philip Bailey, „the voice“, bog sich ins Hohlkreuz und schaffte alles. Er hauchte und schmelzte, er tremolierte, versetzte kein Tönchen und schraubte sich supersouverän bis zum hohen C – mindestens.

Und der ganze große Rest der Band machte seine Sache auch ganz wunderbar. Keyboarder, Schlagzeuger, Trompeter, Posaunist, Saxofonist und die beiden Gitarristen – sie meisterten beschwingt ihre Solo-Parts und hatten ab und an zusammen Lust, sich einen unorganisierten Ausbruch in Richtung Sun Ra Arkestra zu leisten.

Nur Gitarrist Nummer zwei, der einzige weiße Mann auf der Bühne, nervte mit dem hässlichen Gesichtsmuskelsport, den er beim Solieren dachte betreiben zu müssen. Dafür beeindruckte der Perkussionist im roten Hemd, der die Hihats in Höhepunkt-Momenten rückwärts und ohne hinzusehen, spielte oder sie springend gleich ganz mit den Füßen trat.

Unbestrittener Master of Ceremony aber war Basser Verdine White. Trotz seiner 57 Jahre trug er das Haar lang und bügeleisenglatt, wieselte unermüdlich über die Bühne, zuckte und ruckte im Rhythmus, schüttelte die Mozartrüschen seines Hemds, zeigte seine strahlend polierten Zähne im Dauergrinsen und war ganz der sympathische Verrückte. Die Frage zum Muster seines Beinkleids konnte nicht abschließend geklärt werden – es war entweder Paisley, Schlange, Leopard oder Birke. Käsig, schweinscool und funky eben. Nach dem Konzert cruiste ein Audi 80, Baujahr 1984, mit heruntergelassenen Fenstern und Earth, Wind & Fire auf den Boxen durch Treptow. KIRSTEN RIESSELMANN