Ach, diese Federbüschel

Erstens kommt es anders, und zweitens als geplant: Dass diese Erkenntnis ausgerechnet in einer bezaubernden Revue im Friedrichstadtpalast wahr wird, überrascht. Über die Entdeckung eines erotischen Möglichkeitsraumes

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Der Plan war: Endlich mal in den Friedrichstadtpalast und eine schöne Portion Trash abholen, Senioren bekucken, die aus Bussen mit Kennzeichen mit drei Buchstaben kippen und beim Anblick langbeiniger Hupfdohlen des ARD-Fernsehballetts und Hans-Joachim Kuhlenkampffs gedenken und Sabine Hettlich, den blonden Plakat-Engel, fallen sehen. Neben der Neugierde war dieser Plan, zugegeben, auch aus unwissender Vorabgehässigkeit geboren. Er wurde durchkreuzt.

Die „Glanzlichter der Revue“, die noch bis Ende Juni im Friedrichstadtpalast zu sehen sind, haben nämlich mit Trash nichts zu tun. Sie sind eine für Augen und Ohren ganz bezaubernde Angelegenheit. Sicher, der Opener „Berlin geht an“ kommt noch holprig und gewollt daher. Aber dann. Mal fällt der Glitzervorhang, mal schiebt sich die inwendig leuchtende Showtreppe vor, mal schraubt sich aus dem Bühnenboden eine sich drehende Tortentanzfläche. Dann wieder fährt der runde weiße Pavillon nach vorn, in dessen Untergeschoss eine Bar im Hopper-Look untergebracht ist und in dessen Obergeschoss, umsäumt von Säulchen und blauem Neonlicht, das Revue-Orchester spielt.

Kurz: Die Bühne punktet mit superlässigen Showelementen, die einfach gut aussehen und weit entfernt sind von billigem Kitsch. Auf der Bühne wechseln Stepper, Sänger, Tänzer, Akrobaten und die Revue-Diva Hettlich ab. Sehr prompt. Das Prinzip der Revue ist neben der Lust an Ausstattung und Kostüm vor allem die Kurzweiligkeit. Niemals wird man von einer Nummer länger als zehn Minuten behelligt. Das aufwändige Todesrad der Velez-Brothers ist genauso schnell wieder abgebaut wie das Tanzensemble, dem gerade komplizierte knallrote Perücken auf die Köpfe montiert wurden, wieder hinter die Kulissen muss. Alles ist hingetupft, flüchtig. Wie Zuckerwatte.

Großartig ist Europas längste Girlreihe mit ihren 32-paarigen Bein-Trompe-l’oeils, hübsch sind die Totenkopfschlüpfer unter den gestreiften Cancankleidern. Sabine Hettlich ist gar nicht engelhaft, sondern eine recht robuste Frau mit Kurzhaarfrisur, die eine wirklich angenehme Stimme hat.

Lust an Exzentrik

Am besten wird es aber immer, wenn die Federpuschel – mal in den Händen der Damen, mal in denen der Herren – zum Einsatz kommen. Sie zittern und bedecken, geben sich züchtig und lüstern, sie wirbeln den Bühnenstaub auf, der dann ganz kurz wie Goldstaub im Scheinwerferlicht hängt. Diese Federbüschel sind die Platzhalter für das Versprechen der Großstadt, wie die Revue es inszeniert: Eine stilvolle, erwartungsgespannte Urbanität als ein kommunikativer, ästhetischer und erotischer Möglichkeitsraum. Natürlich inszenieren die „Glanzlichter“ diese Form der Urbanität entlang der Stationen Berlin, Paris und New York als eine historische Größe – die der 20er Jahre. Trotzdem entfaltet dieses Großstadtgefühl auch heute noch utopische Dimension: geschmackssichere, relaxt höfliche Menschen mit Lust an Exzentrik und einer gewissen Nighthawk-Coolness, humorvoll, reflektiert und trotz Erotik niemals devot oder schrill, sondern souverän, fließend und Möglichkeiten jenseits der Heterosexualität mit in Rechnung ziehend. Das ist doch was.

Tipp: Unter der Woche billige Karten kaufen, sich auf teureren, aber leer gebliebenen Plätzen setzen – und sich vorab im Foyercafé einen „Berliner Teller“ mit Zwiebelmett, Heringssahnetopf und Eisbeinsülze gönnen.

„Glanzlichter der Revue“ läuft im Friedrichstadtpalast bis 29. Juni