Nummernschilder doch nicht interessant

Nachdem das flächendeckende Erfassen von Autokennzeichen für verfassungswidrig erklärt worden ist, müsste Schleswig-Holsteins Polizeirecht geändert werden. Im Innenministerium will niemand überhaupt dafür gewesen sein

Der Stein des Anstoßes parkte am Dienstag vor dem Kieler Landeshaus – außer Dienst: Der dunkle Wagen, in dem eine Kamera zur Kennzeichenerfassung aller Autos in Reichweite installiert ist, wird ab sofort nur noch für die normale Verkehrsüberwachung eingesetzt, ebenso eine zweite Kamera. Die Technik – Kosten: 100.000 Euro – wird in Zukunft wohl dazu dienen, die Abstände zwischen Lastwagen oder Überholmanöver zu dokumentieren. Das folgt aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die flächendeckende Erfassung auf Verdacht für verfassungswidrig erklärt hat – und damit den entsprechenden Passus im schleswig-holsteinischen Polizeirecht.

Er sei froh über die klaren Worte aus Karlsruhe, sagte Landesinnenminister Lothar Hay (SPD) gestern: „Die Richter haben Politik und Staat ermahnt, bei Operationen am offenen Herzen des Rechtsstaats nicht zu tief zu schneiden.“ Zudem sprächen „die Fakten eine deutliche Sprache“: 131.000 Autos sind seit August 2007 durch die Überwachung gerollt, 26 Wagen ohne korrekte Versicherung wurden erwischt. Dabei sollte das Gesetz im Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Terroristen helfen. „Das KFZ-Scanning“, so Hay, „ist dafür ein ungeeignetes Instrument.“

Eingeführt hatte das Gesetz Hays Amtsvorgänger Ralf Stegner – entgegen zahlreicher Warnungen unter anderem von Datenschützern, Richtern und der Polizei. CDU und SPD hatten geschlossen dafür gestimmt. Gestern verkündete Hay nun, Stegner habe „nur umgesetzt, was im Koalitionsvertrag vereinbart war“, und das durchaus skeptisch. Öffentlich klang Stegner anders: Es sei „grob fahrlässig“, auf neue Technik zu verzichten, sagte er in einer Debatte, und die Bedenken des obersten Datenschützers Thilo Weichert konterte er mit: „Thilo allein zu Haus“. Auch Hay hatte noch am Montag erklärt, warum die Überwachung gut sei. Gestern fand er dann, es lohne nicht einmal, das Gesetz anzupassen.

Dafür gab es gleich Rüffel von der Koalitionspartnerin: „Es entspricht nicht unserer Gepflogenheit, populistische Ad-hoc-Entscheidungen zu treffen“, sagte Peter Lehnert (CDU). Es sei „schon bemerkenswert“, wie schnell die SPD von dem Gesetz abrücke. Zufrieden mit dem Urteil war dagegen die Opposition: Stegner habe „sich von der CDU auf den Holzweg führen lassen und dafür die Quittung bekommen“, sagte Wolfgang Kubicki (FDP), und Anke Spoorendonk (SSW) sprach von einer „peinlichen Zurechtweisung“.

Datenschützer Thilo Weichert erklärte, das Urteil sei zu erwarten gewesen. Er hoffte, dass alle Länder die Konsequenzen zögen. ESTHER GEISSLINGER

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