Sozialer Wandel fällt aus

Kaum einer empört sich, obwohl die grünen Wähler deutlich nicht die Politik bekommen, die man ihnen versprochen hat. Denn die CDU, mit der heute die Koalitionsverhandlungen beginnen, bietet weit weniger grüne Politik als etwa Die Linke

Beim ersten Treffen wollen sich die schwarz-grünen Koalitionäre in spe heute ab 13 Uhr den Themen Haushalt/Finanzen sowie Kultur und Sport widmen. Morgen geht es dann um das vielleicht verminteste Feld überhaupt: Wirtschaft/Hafen/Verkehr/Umwelt. Weitere Termine sind dann bis Mitte April vorgesehen. Bis dahin sollen nach Angaben der CDU keine Zwischenergebnisse bekannt gegeben werden, „da die Beschlussfassung zu allen Themen erst in der Schlussrunde“ erfolge.  TAZ

EINE BETRACHTUNG VON ELKE SPANNER

Wirkliche Aufregung darüber ist nicht zu verspüren: Heute beginnen die Koalitionsgespräche zwischen der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL) und der CDU. Die Debatte kreist aber wohl kaum um die Frage, inwieweit hier Wahlversprechen gebrochen werden, sondern dreht sich darum, ob die Positionen der beiden Parteien miteinander vereinbar sind, und ob es eine deckungsgleiche Klientel gibt.

Dass die Grünen diese Perspektive einnehmen, kann man nicht verurteilen. Im Gegenteil: Eine moderne Partei muss bereit sein, ihr Selbstverständnis immer wieder zu hinterfragen und sich zusammen mit ihren Wählern zu verändern. Das Denken in Kategorien zu überwinden, die sich schon vor Generationen gebildet haben, und stattdessen Inhalte in den Vordergrund zu rücken, ist gut. Das Problem aber ist: Noch vor der Hamburger Wahl gab es dieses Lagerdenken seitens der GAL durchaus, und zwar auch gegenüber der CDU.

Die GAL hat ihren Wahlkampf klar in Abgrenzung zur CDU geführt. Der Slogan „Kohle von Beust“ mag da nur ein Beispiel sein. Die GAL hat Konzepte vorgelegt, welche die – zum damaligen Zeitpunkt noch als falsch bezeichnete – Politik der CDU weitgehend revidieren sollten: Das Bildungsprogramm „9 macht klug“ zum Beispiel oder das GAL-Konzept gegen die soziale Spaltung der Stadt.

Mit anderen Worten: Die Grün-Alternativen sind entschieden für den politischen Wechsel eingetreten. So wie in Hessen die SPD unter Andrea Ypsilanti, die versprochen hat, im Land eine ganz neue Sozialpolitik aufzuziehen. Während Ypsilanti aber Wählerbetrug vorgeworfen wurde, als sie den versprochenen Wechsel mithilfe der Linken tatsächlich realisieren wollte, ist es in Hamburg vergleichsweise ruhig. Warum?

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die moralische Empörung über das Verhalten einer Partei nach der Wahl von Interessen geleitet ist. In Hessen war es vor allem die CDU, die sich über den vermeintlichen Wählerbetrug echauffierte. Die drohte dadurch aber auch zum Verlierer zu werden, das rot-rot-grüne Zusammenspiel hätte Ministerpräsident Koch sein Amt gekostet. In Hamburg regt sich die CDU natürlich nicht darüber auf, dass die GAL plötzlich mit dem einstigen Gegner paktiert, das ist sie schließlich selbst.

Dabei gäbe es – von außen betrachtet – in Hamburg sogar mehr Grund zur Empörung als in Hessen. Dort wollte Ypsilanti mit ihrem Schritt immerhin das Versprechen eines sozialen Wandels einlösen, für das sie Stimmen bekommen hat. Und eben dieses Versprechen bricht die GAL in Hamburg, indem sie mit Ole von Beust koaliert.

Sicher: In Hessen ist es einfacher, eine Lüge anzuprangern. Ypsilanti war undiplomatisch genug, vor der Wahl wörtlich zu geloben, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Der strategische Fehler kostet die Menschen im Land die Chance auf eine sozialere Politik. Die GAL war da geschickter. Sie hat kein Gelöbnis unterschrieben, dessen Bruch ihr nun vorzuhalten wäre.

Doch eine politische Lüge liegt nicht nur darin, dass man den Wortlaut einer früheren Aussage verletzt. Der Wähler wird vor allem dann hintergangen, wenn er die versprochene Politik nicht bekommt. Das ist nun hier wie dort der Fall. Einen qualitativen Unterschied kann darin nur erkennen, wer die Linkspartei starrsinnig als DDR-Nostalgiker verunglimpft.

Entscheidungen in politischen Einzelfragen resultieren naturgemäß aus einem Grundschema an Werten, aus dem sie nur schwer herauszulösen sind. Umso positiver ist es, wenn eine Partei wie die CDU, für die Wirtschaftswachstum das oberste Gebot ist, nun beispielsweise anstelle von Straßen auch weniger wirtschaftsfördernde Radwege bauen will. Dem muss sich die GAL öffnen, und sie muss sich entsprechend auf den einstigen Rivalen zubewegen. Nur: Auch mit der Linken könnte sie nach Gemeinsamkeiten suchen, aus ihrer Geschichte heraus müsste sie das sogar tun. Einheitsschule, sozialer Wandel, Abschaffung von Bildungsgebühren – all das wäre mit der Linken durchsetzbar, nicht mit der CDU. In dieser Richtung aber gilt das Denken in alten Kategorien unverändert fort. Insoweit ist die Entwicklung in Hamburg hin zu Schwarz-Grün nicht fortschrittlich.

Der Wähler wird die GAL in vier Jahren womöglich auf seinem Stimmzettel abstrafen. Sicher ist es gut, wenn der CDU Kompromisse abgerungen werden können. Ein kleines Kohlekraftwerk in Moorburg ist besser als ein großes. Im Alltag der Menschen werden die Einzelkompromisse aber nicht spürbar sein. Spürbar wäre der soziale Wandel, den die GAL versprochen hatte. Auf den aber verzichtet sie in dem Moment, in dem sie heute mit Ole von Beust Platz nimmt am Verhandlungstisch.