nebensachen aus damaskus
: Einkaufen bei Abu Mohammed oder: Der Kunde ist Kaiser

Syrien ist das Land der Einzelhändler, anonyme Supermärkte und sterile Shoppingmalls gibt es kaum. Einkaufen bedeutet Plaudern, Kontakte pflegen, Neuigkeiten austauschen – statt hektisch Listen abzuhaken, erledigen die Syrer ihre Besorgungen scheinbar nebenbei.

Die Dinge des täglichen Bedarfs kaufen sie beim Krämer um die Ecke. Dessen kleiner bis winziger Laden ist bis unter die Decke vollgestopft mit Reis, Zucker, Milch und Käse, Waschmittel, Klopapier und Zahnpasta. Zwischen meterhohen Regalen, Kühlschränken, Chipstüten und Eierkartons balanciert Abu Mohammed, das männliche Gegenstück zur deutschen Tante Emma. Während er dies und jenes herbeiholt, unterhält er sich mit dem Käufer über Wetter, Politik und das Neueste aus der Familie. Erscheinen die Einkäufe am Ende zu schwer, schickt Abu Mohammed einen seiner Helfer mit, der die Taschen dem Kunden nach Hause trägt, meist ein Jugendlicher aus der Verwandtschaft, der im Laden aushilft. Sollten später noch Eier fehlen – kein Problem: Anruf genügt und fünf Minuten später steht der junge Mann mit sechs Eiern erneut vor der Tür.

In Syrien ist der Kunde noch König, was sage ich: Kaiser! Betritt er ein Geschäft, wird er freundlich umworben. Nachthemden werden ausgepackt, Teppiche ausgerollt, Tischdecken auseinandergefaltet und ansehnlich drapiert. Die anspruchsvolle Syrerin zeigt sich davon allerdings völlig unbeeindruckt. Sie fasst in diesen Stoff, befummelt jene Stickerei, um dann ihre Augenbrauen nach oben zu ziehen, den Kopf leicht in den Nacken zu werfen und ohne ein weiteres Wort den Laden zu verlassen. Wer dieses Schauspiel als Außenstehender zum ersten Mal beobachtet, ist entsetzt: Was für ein unverschämtes Verhalten! Aus Mitleid möchte man dem Verkäufer am liebsten gleich drei Tischdecken abkaufen. Doch der ist daran gewöhnt. Er ruft der Kundin ein höfliches „Sie sind jederzeit willkommen“ hinterher und packt seine Ware wieder zusammen.

In Wirklichkeit ist dieses Gebaren Teil eines Spiels, das beide Seiten perfekt beherrschen. Selbst wenn der Kundin eine Tischdecke auf Anhieb gefällt, wird sie zunächst die Nase rümpfen und zur Konkurrenz gehen. Erst wenn sie dort Preise und Qualität verglichen hat, kehrt sie in den Laden zurück und das Handeln beginnt. Am Ende sollten Käufer und Verkäufer überzeugt sein, einen guten Deal gemacht zu haben.

Einziges Einkaufsproblem in Syrien ist die Verpackung. Jeder umweltbewusste Deutsche, der bei einer Fahrt durch das Landesinnere Tausende schwarzer Plastiktüten in den Bäumen hängen und durch die Wüste flattern sieht, wird sich sofort auf den heimatlichen Stoffbeutel besinnen. Der stößt bei den syrischen Geschäftsleuten jedoch meist auf Unverständnis. Zum ersten Mal mit einer „Jute statt Plastik“-Tasche konfrontiert, zögerte ein Obst- und Gemüsehändler nicht lange: Er packte Tomaten, Gurken und Bananen jeweils einzeln in schwarze Tüten, um dann den Wust an Plastik vorsichtig in dem wertvollen deutschen Beutel zu verstauen. Umweltschutz auf Syrisch. KRISTIN HELBERG