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Drogenprovinz an der Ostgrenze

Wo gibt es weite Felder, auf denen Vietnamesen Cannabis für den deutschen Endverbraucher ernten? In Sachsen. Bisher ist das allerdings ein Einzelfall – in Großbritannien und Kanada ist der großflächige Eigenanbau schon weiter

BERLIN taz ■ Drogen kommen nicht nur aus Afghanistan oder Kolumbien, sondern auch aus den entvölkerten Regionen Ostdeutschlands. Riesige Cannabisplantagen wachsen in Sachsen. Darauf gestoßen ist die österreichische Polizei.

Mitte Februar hatten Linzer Beamte einer Bande von Drogenbauern das Handwerk gelegt. Zwei Österreicher vietnamesischer Herkunft und zehn Vietnamesen hatte nach Angaben der oberösterreichischen Polizei mehrere hundert Kilo Cannabispflanzen in Bauerngehöften, Wochenendhäusern und Lagerhallen indoor angebaut. Es ging um großflächige Plantagen unter Klima- und Beregnungsanlagen. Nach Überzeugung der Polizei betreibt dieselbe Bande auch in Sachsen und Tschechien Cannabisplantagen. Die Staatsanwaltschaft in Leipzig ermittelt.

Staatsanwalt Ricardo Schulz bestätigt „ein Ermittlungsverfahren gegen fünf Tatverdächtige, darunter vier Vietnamesen und ein Deutscher“, die gemeinsam im großen Umfang Betäubungsmittel angebaut und vertrieben haben sollen.

Vor einem Jahr hatten Vietnamesen in Westsachsen ein leerstehende Gehöft angemietet. Das ehemalige Wohnhaus war in eine riesige Haschischfarm umgebaut worden. Auf zwei Etagen waren die Räume mit Folie ausgelegt worden. Klimaanlagen und UV-Strahler sorgten für die nötige Wärme. Als die Polizei kam, erntete sie 1.000 Hanfpflanzen und nahm eine größere Menge bereits geernteten Hanfes mit. Der Marktwert der Drogen soll bei 400.000 Euro gelegen haben.

„Die drei tatverdächtigen Männer befinden sich nicht in Untersuchungshaft. Wir konnten ihnen lediglich nachweisen, dass sie zum Zeitpunkt des polizeilichen Zugriffs auf dem Hof waren“, sagt Staatsanwalt Ricardo Schulz. „Die Ermittlungen gegen sie und zwei weitere Beschuldigte dauern jedoch an. Dabei gab es Hinweise auf Verbindungen ins Ausland, auch nach Österreich.“

Im sächsischen Landeskriminalamt weiß man zudem von Kontakten vietnamesischer Drogenbauern aus Tschechien nach Sachsen. „Dem gehen wir derzeit nach“, sagt Tom Jährig vom LKA in Dresden.

In Mitteleuropa ist die Plantage im sächsischen Bauernhaus noch ein Einzelfall. Doch in Großbritannien und Kanada hat sich der Trend zum Eigenanbau von Cannabis durch asiatische Zimmerbauern in den vergangenen knapp drei Jahren in Windeseile durchgesetzt. 60 Prozent des in Großbritannien konsumierten Cannabis stammt bereits aus inländischem Anbau in ganz normalen Wohnhäusern. Das garantiert kurze Wege zu den Verbrauchern.

Die britische Polizei hebt nach eigenen Angaben im Vereinigten Königreich jeden Tag drei neue Plantagen aus, im Polizeijargon „Fabriken“ genannt. Zimmerbauern sind meist Vietnamesen, manchmal auch Chinesen. Hinter ihnen stehen nach Polizeiangaben in zwei Drittel der Fälle organisierte vietnamesische Gangs. Damit der extrem hohe Energieverbrauch nicht auffällt, sollen oft Starkstromkabel an den Stromzählern vorbei gelegt werden.

Die Drogenbauern sind zumeist aus dem bitterarmen Zentralvietnam nach Europa gekommen. Diese Region ist vom Boom in Fernost abgehängt. Um zu überleben, muss eine Familie dort einen Ernährer in die vietnamesischen Boomregionen oder aber ins Ausland schicken. Landwirtschaftliches Arbeiten haben die Bewohner dort von frühester Kindheit an erlernt. Wer einen Ernährer in Großbritannien hat, bekommt das meiste Geld geschickt, denn die Gewinne aus dem Drogenanbau sind am höchsten. In der Regel wissen die Familien auch, womit ihre Ernährer das Geld verdienen. „Aber sie wissen auch, dass es in Europa anders als in Vietnam keine Todesstrafe gibt“, sagt ein Dolmetscher aus Berlin, der sich im Milieu auskennt. „Wenn man aber in Großbritannien ins Gefängnis kommt und vorher vier oder fünf Ernten eingefahren hat, hat sich das Geschäft aus der Sicht vieler Betroffener gelohnt“, sagt er. MARINA MAI

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