: Zwei für Alaska
Jugend- und Kritikerjury nominieren denselben Titel für den Jugendbuchpreis 2008 – John Greens „Eine wie Alaska“
Sie sind Hauptschüler aus Wermelskirchen, Nordrhein-Westfalen. Sie sagen: „Dein ganzes Leben steckst du in dem Labyrinth fest und denkst daran, wie du ihm eines Tages entfliehst …“ Doch die Teenies beklagen nicht etwa ihr Schicksal. Mit diesem Zitat aus John Greens „Eine wie Alaska“ stellten die Schüler bei der Leipziger Buchmesse ihren Nominierungstitel vor.
Die Schüler gehören zum 2006 gegründeten Leseclub „Do it – read a book!“ und der wiederum zur unabhängigen Jugendjury, die im Rahmen des Deutschen Jugendliteraturpreises einen eigenen Preis auswählt. Die Schüler haben etwas Ungewöhnliches geschafft, sie nominierten mit Green denselben Titel wie die Erwachsenenjury. Das geschah zum ersten Mal nach Cornelia Funkes Kassenschlager „Tintenherz“ von 2004. Und beweist: Hauptschüler können Bücher differenziert bewerten. Der Preis wird im Oktober vergeben.
Nicht nur für die Jugendlichen war die Doppelnominierung ein Highlight. Eltern zweifeln angesichts der Nominierungen häufig, ob die von Kritikern auserkorenen Titel überhaupt bei den Kindern und Jugendlichen ankommen. Dem Amerikaner John Green (taz vom 19. 12. 2007) scheint das zu gelingen. Dabei sieht die aus Fachleuten bestehende Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises ihre Aufgabe nicht darin, Lesetipps für Literaturmuffel zu geben. Viel mehr will sie Bücher auswählen, die „aktuelle Tendenzen der Kinder- und Jugendliteratur“ aufzeigen und „Geschichte und Geschichten in ganz besonderer Weise erzählen“, sagte Juryvorsitzende Caroline Roeder.
Auch die Titelauswahl der Erwachsenenjury enthält Überraschendes. Mit ihren Nominierungen peilt die Kritikerjury offenbar neue Koordinaten an. In der Kategorie Bilderbuch, traditionell als Literatur für Kleinkinder gehandelt, finden sich diesmal Titel für Zehn- und sogar für Dreizehnjährige: Die Illustratorin Susanne Janssen hat das Märchen von Hänsel und Gretel der Brüder Grimm auf künstlerisch so hohem Niveau interpretiert, dass sie sich damit in die erste Liga der Kunstszene gespielt hat. Ihre Bilder erschließen sich erst geübten Kindern ab zehn. Darauf, dass die Genres Comic und Manga einen nicht mehr wegzudenkenden Stellenwert in der Jugendkultur einnehmen, reagierte die Jury mit der Nominierung des Titels „5 Songs“, einer Graphic Novel des vielfach preisgekrönten italienischen Comiczeichners Gipi.
Auch in der Sparte Kinderbuch tauchten in Ermanglung überzeugender Erstlesetexte zwei Titel auf, die man gut und gerne als Bilderbücher deklarieren könnte. „Die schlaue Mama Sambona“ mit einem Text von Hermann Schulz, illustriert von Tobias Krejtschi, und Zoran Drvenkars „Zarah“, das Martin Baltscheit illustriert hat, glänzen durch eine gelungenen Text-Bild-Verquickung – das Ideal eines Bilderbuchs. Das wirkt wie ein Appell: Gebt den Leseanfängern lieber gute Bilderbücher, als seriell produzierte Erstlesebücher!
Caroline Roeder hob „das breite Spektrum an jugendspezifischen Themen und das hohe literarische Niveau“ der Kategorie Jugendbuch hervor. Nimmt man auch Erwachsenenbelletristik als Jugendlektüre mit in den Topf, ist das Spektrum nicht mehr nur breit, sondern verschmilzt mit der ganzen Welt. Dass zwischen Jugend- und Erwachsenenbuch schon lange keine fassbare Grenze mehr verläuft, zeigt sich schon seit einigen Jahren. Äußerlich sind die Titel „Superhero“ von Anthony McCarten und „Ein Sommer in Venedig“ von Włodzimierz Odojewski gar nicht als Jugendbücher gekennzeichnet.
Als Sorgenkind stellte die Jury das Sachbuch dar: Es ließen sich nur wenige Titel finden, die „keine gröberen Fehler und Ungenauigkeiten“ aufwiesen. Bei den nominierten Titeln überwiegen solche, die als „dokumentarische Literatur“ bezeichnet werden können. Wissen wird hier auf erzählende Weise vermittelt.
2006 tauchten mangels guter Bilderbücher statt sechs nur fünf Titel in der Sparte auf. Die Verlage sollten endlich reagieren und sich des Sorgenkindes Sachbuch annehmen. SARAH WILDEISEN
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