die taz vor fünf jahren über das gescheiterte npd-verbotsverfahren
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Die Dreier-Sperrminorität der Verfassungsrichter im NPD-Verbotsprozess, die gestern angesichts des Spitzelgewimmels bei der NPD ein faires Verfahren für unmöglich erklärte, hat die einzig mögliche Konsequenz gezogen. Denn in Frage stand nicht eine Güterabwägung – hie Rechtsstaatlichkeit, hie Schutz der V-Leute. In Frage stand das Prinzip, bei Prozessen dieser Art „ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit“ zu beachten. Gegen diese vier von der Minderheitsmeinung des Gerichts formulierten Grundsätze hat das Verbotsverfahren verstoßen, und zwar von Anfang an. Wenn je ein Rücktritt einen Sinn gehabt hat, dann müsste Otto Schily jetzt sein Mützchen nehmen. Ironischerweise war es gerade der Innenminister, der zeit seiner anwaltschaftlichen Existenz für die Beachtung rechtsstaatlicher Normen im Strafprozess kämpfte, oft mit dem Rücken zur Wand. Er, der selbst illegalen Abhörpraktiken ausgesetzt war, der das Wirken des Verfassungsschutzes am eigenen Leib erfuhr, hat als Minister alle einschlägigen Erfahrungen beiseite geschoben, hat die Amtsloyalität über die Loyalität zu rechtsstaatlichen Verfahren gestellt.

Fatalerweise folgt aus der Einstellung des Verfahrens, dass die Sensibilisierung für rechtsextreme Propaganda einschließlich der „Propaganda der Tat“ in Deutschland weiter nachlassen, dass die NPD ihre Funktion als Schutzschild und Auffangbecken für terroristische Gewalttäter jetzt auch noch mit dem frisch erworbenen Nimbus der Legalität ausüben kann. Denn es war gerade diese Symbiose, die den einzig vernünftigen Verbotsgrund darstellte. Das Gericht hat einen erneuten Verbotsantrag ausdrücklich erlaubt, aber jetzt ist der GAU eingetreten und eine Neuauflage würde sich eher zugunsten der NPD auswirken.

Wenn dieses Verfahren eines erwiesen hat, dann, wie gering der Nutzen ist, den der Verfassungsschutz hat. Hier liegt ein weites Feld für Sparvorschläge.Christian Semler, taz, 19. 3. 2003