Niederknien für die „perfidis Judaeis“

An den Fürbittengebeten zum Karfreitag scheiden sich die katholischen Geister. Geht es nach dem Papst, darf jetzt wieder für die Seelen der „treulosen Juden“ gebetet werden. In den meisten Kirchen allerdings wurden die Worte aus Rom „gelesen und abgeheftet“

Wie schließen Katholiken die Juden in ihr Karfreitagsgebet ein? Das ist die Frage, die in diesen Tagen die katholische Welt bewegt, nachdem Papst Benedikt XVI. die alte tridentische Liturgie wieder erlaubt hatte. Die war bis 1962 in den katholischen Kirchen üblich. Der Disput entzündet sich nun an der dort zu findenden Formulierung: „Lasset uns auch beten für die treulosen Juden („perfidis Judaeis“, d. Red), dass Gott unser Herr den Schleier von ihren Herzen wegnehme, auf dass auch sie erkennen unseren Herrn Jesus Christus.“ Aus Protest gegen die neue alte Formulierung hat der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka seine Teilnahme am Katholikentag vom 21. bis 25. Mai in Osnabrück abgesagt. Im protestantisch geprägten Norden dagegen ist die Botschaft des Papstes irgendwie nicht angekommen. „Die Leute schütteln den Kopf“, sagt der Sprecher der Katholischen Kirche Bremen, Wilhelm Tacke. Wie geht man an der Weser um mit Papst-Worten? „Wir lesen es und heften es ab.“

Ein Testanruf bei dem Pfarrer der katholischen Pius-Gemeinde in Bremen-Huchting bestätigt das: Gerade mal ein Gemeindemitglied habe ihn nach der päpstlichen Botschaft gefragt, aber das mehr aus Neugier. Er selbst habe sich noch nicht so eingehend mit der Frage beschäftigt, fährt der Pfarrer fort.

So bleibt es in den meisten katholischen Kirchen bei der Karfreitags-Formel, die seit 1970 in den Messbüchern steht. Gebetet wird da „auch für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“ Dieser Text lehnt sich an Formulierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils an, das die Beziehungen zum Judentum nach der Nazizeit auf eine neue Basis stellen wollte. Papst Johannes XXIII. hat die Reform durchgesetzt. Die alte römische Karfreitags-Liturgie folgte dagegen dem Messbuch von 1570. Da ist neben den „perfidis Judaeis“ auch davon die Rede, die Juden müssten aus „Verblendung“ und „Finsternis“ gerettet werden.

In der Kapelle St. Theresia von Avila in Hamburg, die zur der „Priesterbruderschaft St. Pius X“ gehört, wird diese alte katholische Tradition gepflegt. Während jede der übrigen acht großen Karfreitagsfürbitten traditionell mit einer Kniebeuge verbunden war, gibt es die in der alten Liturgie bei der Bitte für die Juden nicht. Und das nicht aus Versehen: In den mittelalterlichen Messbüchern gab es ausdrücklich die Anweisung, das „Amen“ und die „die Aufforderung zur Kniebeugung“ zu unterlassen, „um nicht das Andenken an die Schmach zu erneuern, mit der die Juden um diese Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten“.

So will man das in der St.-Theresia-Kapelle nicht verstanden wissen: Die deutsche Übersetzung, die ihren Gläubigen die lateinische Fürbitte nahe bringt, übersetzt „perfidis Judaeis“ auch schlicht mit „ungläubige Juden“. Die gelte es zu bekehren – denn nach christlicher Wahrheit ist der Messias schon gekommen. Wer darauf verzichte, das weiterzusagen, sagt Pater Konrad Huysegems, verzichte im Grunde auf den Wahrheitsanspruch der Kirche.

Schon in den 1920er-Jahren hatte es im katholischen Klerus eine breit getragene Kritik an der alten Juden-Fürbitte gegeben, die allerdings beim damaligen Papst noch kein Gehör fand.

Um die konservativen Katholiken wieder einzufangen, die sich mit der Änderung nie abgefunden haben, erlaubte der derzeitige Papst im Sommer 2007 die tridentinische Liturgie wieder. Weil es gegen diesen „Rückfall“ hinter das Zweite Vatikanische Konzil seit Monaten Protest hagelt, hat der Vatikan eine neue Formulierung der Juden-Fürbitte entworfen: „Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen“, heißt es da. Der Papst will den Seelen der Juden demnach weder Kniefall noch das „Amen“ verweigern. Aber er will gleichzeitig nicht verzichten auf den Anspruch, dass die „Erkenntnis der Wahrheit“ mit dem „Eintritt der Fülle aller Völker in deine Kirche“ verbunden sei.

Die Brüder von St. Theresia haben diese Gebetsformel nicht übernommen – dieses Jahr jedenfalls noch nicht. Die neue Formel aus Rom sei doch „vom Geist her das selbe“ wie ihre alte Liturgie, sagt Pater Huysegems. Die endgültige Entscheidung treffe dann irgendwann der „Generalober“ der Kongregation.

Pater Clemens Loth aus Bremen hat sich noch nicht wirklich mit der Frage befasst. Ein eher konservativer Priester wie Michael Umlau aus Bad Schwartau bei Lübeck ist „offen für den klassischen römischen Ritus“ und will den Gemeindemitgliedern, die „ihre Heimat in der Liturgie verloren haben“, demnächst wieder eine lateinische tridentische Messe anbieten. Für die anstehende Osterliturgie bleibt auch er aber bei der modernen: Sie sei ihm „sehr sympathisch“. Für Judenmission sieht Umlau keine Notwendigkeit: Die christliche Botschaft sei doch eine der Toleranz.

So wird die neue Juden-Fürbitte in der katholischen Praxis offenbar nicht zu hören sein – nicht einmal im Petersdom zu Rom übrigens. Wie Toleranz auch in dem aktuellen Streit theologisch gerechtfertigt werden könnte, dafür verweist Bremens Katholiken-Sprecher Wilhelm Tacke auf den 1913 in München geborenen Journalisten und Religionswissenschaftler Schalom Ben Chroin: „Der Glaube des Jesus von Nazareth eint uns. Der Glaube an Jesus, den Christus, trennt uns“, schrieb der. „Wir Juden warten auf den, der kommt, und sie, die Christen, warten auf den, der wiederkommt. Wer sagt denn, dass beide nicht dasselbe Gesicht haben?“ KLAUS WOLSCHNER