bücher für randgruppen
: Wichtig wie das Kapwarzenschwein

Großvater Alfred Brehm war lange Zeit in der Mottenkiste verschwunden. Bekannt war er für seine allzu menschlichen Tierbeschreibungen und die umstrittenen Schlussfolgerungen, die er aus seinen Beobachtungen zog. In einer Zeit der Ungewissheit wird der alte Brehm aber plötzlich wieder populär. Trotz der erlangten Patina aus dieser Zeit macht es ja auch Spaß, sich seine Texte – natürlich mit überlegenem Schmunzeln – zu Gemüte zu ziehen. In diesen Trend zielt auch „Brehms verlorenes Tierleben“, eine Sammlung seiner Beschreibungen, die ausschließlich Tiere betreffen, die nach Brehm ausgestorben sind. Durch seine bibliophile Aufmachung bedingt, empfängt den Leser ein Déjà-vu-Moment: Anita Albus’ „Seltene Vögel“ flattern erschreckt auf. Im Gegensatz zu ihrem Werk verzichten die Herausgeber aber darauf, die alten Tierbeschreibungen mit Anmerkungen à la „Hier irrt Brehm!“ zu versehen. Andererseits trägt das Werk sehr deutlich die Handschrift des aktuellen postmodernen Blicks. Irgendwie ist alles gleichartig, flach und verwertbares Material, welches dann nur noch in verschiedene Ordnungssysteme integriert werden muss. Hier wird der kreative Akt vor allem in selbstentwickelten Piktogrammen sichtbar, deren Legenden in einem aufklappbaren Blatt erläutert werden. Das Symbol „Fuchs“ steht dann für „Einschleppung von nichtheimischen Wildtieren“, obwohl ein Rattensymbol sicherlich treffender sein würde. Andererseits wäre es schon absurd, wenn eine Ratte Symbol für den eingeschleppten Barsch wäre, der im Viktoriasee fast alle anderen Arten verspeist hat.

Kurz: Die zierlichen Piktogramme, die auch Auskunft über Nahrung, Lebensraum und Gründe des Aussterbens geben wollen, verwirren mehr, als dass sie klären. Sie sind vor allem dekoratives Ornament, denn kaum jemand wird sich tatsächlich die Mühe machen, nachzuschlagen oder sich gar die Bedeutungen der einzelnen Symbole zu merken. In der Pressemitteilung wird „Der große Bildband über 196 verschollene Tierarten“ angekündigt. „Verschollen“ macht natürlich Hoffnung, und „Bildband“ klingt super und nach Farbe. Tatsächlich wirken die verstreut zu findenden selbstgefertigten Tierzeichnungen sehr flächig, farblos, körperlos und opak. Sie sind so tot wie ihre ausgestopften Vorbilder, was durchaus als „Realismus“ gelobt werden könnte.

Während Anita Albus mit farbenfrohen Vogelaquarellen romantisiert, arbeiten die Künstler hier mit der humorfreien Übernahme von Zeichnungen der wissenschaftlichen Spezialliteratur. Gut, dass manche Tiere so albern aussehen und brav gezeichnet „nach der Natur“ erst recht. Im kurzen Vorwort des Biologen Josef Reichholf findet sich daher die ganze Essenz, indem er deutlich macht, dass die „Vermenschlichung“, die Brehm so alt erscheinen lasse, heute nicht weniger existiere. Oder wie das Aussterben definiert wird und welche Faktoren es begünstigen. Es ist nicht unbedingt der eiszeitliche Jäger, der mit dem Speer große Arten wie das Mammut ausrottet. Heute killt der Großbetrieb, der Gülle und Dünger ausbringt, was plötzlich tausende Insektenarten zu seltenen Tieren macht. Damit hätte Brehm sicher nicht gerechnet, stellt Reichholf fest. Was bleibt, ist ein schönes, dekoratives Buch mit verwirrenden Piktogrammen, mäßig aufregenden Zeichnungen, ausgesuchten Fertigtexten von Brehm und einem klärenden Vorwort. Der böse Rezensent stellt fest: Dieses Buch ist völlig überflüssig. Der freundliche entgegnet: Es ist so nötig wie das verschollene Kapwarzenschwein. WOLFGANG MÜLLER

Hanna Zeckau/Carsten Aermes: „Brehms verlorenes Tierleben“. Verlag Zweitausendundeins, Frankfurt a. M. 2008, 260 Seiten, 29,90 Euro