Ein Ständchen für das neue Leben

In der Asklepios Frauenklinik in Hamburg-Barmbek erfreut ein musikalischer Professor die frisch gebackenen Mütter und ihre Säuglinge mit seinem Mundharmonikaspiel. Statt anonymer Klinikatmosphäre ist bei dem Gynäkologen Mitsingen im Wochenbett angesagt

In der Klinik halten viele Kollegen Professor Bernhard Joachim Hackelöer für einen Sonderling, denn der sympathische Gynäkologe pflegt eine ungewöhnliche Marotte: das Mundharmonikaspiel. Seit 1975 begrüßt Hackelöer Neugeborene mit einem Ständchen und sorgt mit seiner Musik auch im Alltag für eine entspannte Klinikatmosphäre.

Angefangen hat alles im Seitenflur einer Marburger Klinik. Morgens und abends hat Hackelöer hier am Klavier musiziert – nur für sich selbst. Während die Kollegen sich hin und wieder über Kneipenatmosphäre beschwerten, war die Musik bei den Patienten willkommen.

Mit dem Mundharmonikaspiel fing Hackelöer aus eher praktischen Erwägungen an: Er wollte auch zwischendurch auf Tagungen und Kongressen spielen können. Als er 1986 an die Frauenklinik im damaligen Allgemeinen Krankenhaus in Hamburg-Barmbek wechselte, nahm er seine Mundharmonika selbstverständlich mit. „Ich spiele oft schon auf dem Weg zur Visite. Die Schwestern wissen dann, dass ich gut drauf bin und legen mir schon mal die Akten raus“, lacht er. Dass Musik für eine entspanntere Atmosphäre sorgt, davon ist der Professor überzeugt.

In eine Dauerbeschallung arte seine Musikleidenschaft allerdings nicht aus. „Ich dudele nicht den ganzen Tag vor mich hin“, sagt Hackelöer. Sein Spiel ergebe sich vielmehr aus der Situation heraus, er wolle damit seine Emotionen ausdrücken und nicht als bloße Maschine wahrgenommen werden. „Ich bin ja kein Geburtsmechaniker, sondern an der Geburt beteiligt – auch emotional“, sagt er. Inzwischen hat er es sich angewöhnt, nach der Entbindung ein kurzes Ständchen für Mutter und Kind zu spielen. „Ich will den Frauen das Gefühl nehmen, sich in einer anonymen Geburtsfabrik zu befinden“, sagt er. Es werde allerdings niemand gezwungen, sich nach einer anstrengenden Geburt auch noch ein Lied anzuhören. „Wenn jemand noch total fertig ist, dröhne ich ihn selbstverständlich nicht mit Musik voll“, räumt Hackelöer ein.

Die Musik ist für ihn ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Auch Neugeborene zeigen bereits Reaktionen auf das verhaltene Spiel: Sie drehen den Kopf zur Musik hin und viele öffnen sogar das erste Mal die Augen. Vor allem sei die Musik aber ein Weg, um die Mütter zu entspannen und die Atmosphäre aufzulockern, sagt Hackelöer.

Als die Frau eines kanadischen Hockeyspielers ihr Kind zur Welt gebracht hatte, habe man beispielsweise gemeinsam das Lied „Alouette“ performt. „Sie müssen sich das vorstellen: der französische Text und der Kanadier, der dazu mit dem breitesten amerikanischen Akzent sang“, sagt Hackelöer lachend.

Ob das Begrüßungsritual nach seiner Pensionierung fortgeführt wird, ist noch ungewiss. „Vielleicht spielt der nächste ja Schlagzeug“, sagt er. Wie die Neugeborenen in der Klinik darauf reagieren, ist bislang nicht erprobt. ALW