Gesungene Scheinsatire

Wahlkampf wird in Italien auch mit Musikvideos geführt – von singenden Eisverkäufern und Boccia-Spielern

So muss man sich wirklich gute Satire vorstellen. Eine Eisdiele, der Mann hinter dem Tresen sieht aus wie ein gescheiterter Schauspieler, der nur einen Traum hat: in einer drittklassigen Soap-Opera den Eisverkäufer geben zu dürfen. Jetzt darf er. Während er seinem Kollegen ein Becherchen anreicht, beginnen die beiden zu singen. Von einem „großen Traum“, davon, dass „wir die Menschen der Freiheit sind“. Doch plötzlich nimmt das Liedchen eine unerwartete Wende, die Operette wird zu harter Politik: „Präsident, wir stehen zu dir“, Kameraschwenk, und drei Mädels auf der anderen Seite des Tresens krähen: „Meno male che Silvio c’è“, „Gott sei Dank gibt es Silvio“. So geht es von Soap-Arbeitsplatz zu Soap-Arbeitsplatz, vom Bäcker zum Call-Center, vom Taxistand zur Baustelle, und immer mit dem gleichen Ergebnis, meno male che Silvio c’è.

Abgefeimt ist die in dieser Satire versteckte Kritik. Sie will uns glauben machen, Berlusconi habe nicht bloß die Politik, sondern gleich ganz Italien auf das Niveau der bei seinen Sendern ausgestrahlten Billigserien heruntergewirtschaftet. Nur ein Manko hat die Satire: sie ist gar keine. Der Song gilt mittlerweile als offizielle Hymne der Berlusconi-Wahlkampf-Truppen.

Die Linke hat es da besser. Sie verfügt über musikalisches Traditionsgut, egal ob „Bella ciao“ oder „Bandiera rossa“, und hatte immer so gut wie alle Liedermacher auf ihrer Seite. 1996 etwa ließ sich das damalige Ölbaumbündnis Romano Prodis vom Singer-Songwriter Ivano Fossati ein schmissiges „La canzone popolare“ schreiben. Aber „Bandiera rossa“ und „Canzone popolare“ sind Schnee von gestern. Walter Veltroni tritt als Spitzenkandidat mit dem Anspruch an, etwas rundum Neues zu sein. Trauriges Resultat: Bei den Kundgebungen der Demokratischen Partei gibt es nur Italiens Nationalhymne zu singen. Das ließ zwei Jungaktivisten der Partei nicht ruhen – und sie haben es tatsächlich geschafft, den neuen Silvio-Song zu toppen. Zu den Noten von „YMCA“ darf gegrölt werden „I am PD“ (wobei PD für Partito Demcratico steht), und dann „Walter io mi fido di te“, Walter, ich vertraue dir. Auch hier singen im Video mäßig begabte Normale-Menschen-Darsteller mitten in irgendeinem Alltag, die Mama mit Tochter auf dem Spielplatz, ein Opa mit Boccia-Kugeln, der smarte Jungkarrierist mit Laptop auf einer Parkbank hockend, der in die Jahre gekommene Friseur, den das Trällern nicht vom Föhnen abhält, und ein Barmann, der ganz so daherkommt wie Silvios Eismann. Überhaupt: Auch die Veltroni-Laienspielschar singt mächtig engagiert vom „Traum, der Wirklichkeit wird“. So werden Textbausteine in diesem Albtraum genauso austauschbar wie die Menschen.

All das könnte Walter Veltroni peinlich sein – ist es aber nicht. Die Website der PD jedenfalls hatte den erschütternden Song gleich ganz vorne auf der Homepage. Nach zwei Tagen aber war der Link abgeschaltet. Nicht etwa jedoch, weil alte Kader empört protestiert hätten. Die Plattenfirma von „YMCA“ hatte sich wegen einer Rechteverletzung gemeldet. Auch hier kann die Linke noch von Silvio lernen: Der lässt sich die Melodien wenigstens original von einem Komponisten schreiben, der immer schon davon geträumt hat, den Soundtrack zu einer drittklassigen Soap-Opera zu verfassen. MB