Der Mann, dem die Justiz 14 Jahre raubte

Ein Sandwich mit Mortadella und Käse und der erste Anruf mit einem Handy, das erwartete Glen Edward Chapman, als er am Mittwoch im US-Bundesstaat North Carolina aus dem Gefängnis entlassen wurde.

14 Jahre hat der Afroamerikaner unschuldig im Todestrakt gesessen, nachdem er 1994 wegen zweifachen Mordes verurteilt worden war. Damals war Bill Clinton Präsident der USA, Brasilien besiegte Italien im Finale der Fußballweltmeisterschaft und Chapman war 26 und verliebt.

Zwei Jahre vorher waren die Leichen von Tenene Yvette Conley und Betty Jean Ramseur in verlassenen Häusern in Hickory gefunden worden. Für die Anklage war der Schuldige in Chapman schnell gefunden, und seine Anwälte zeigten kein Interesse, das Gegenteil zu beweisen. So landete Chapman in der Todeszelle. Mehrfach erhob er Einspruch gegen das Urteil, bis im November des vergangenen Jahres der Richter Robert C. Ervin das Verfahren wieder aufnahm. Im Prozess seien entlastende Indizien zurückgehalten worden, der leitende Untersuchungsbeamte habe falsche Aussagen gemacht und die Verteidigung einen ganz schlechten Job, so Ervins Begründung.

Im Folgenden stellte sich heraus, dass Conley nach ihrer angeblichen Ermordung durch Chapman noch lebend gesehen worden war. Statt äußerer Verletzungen wurde eine Überdosis Kokain als Todesursache wahrscheinlich.

Im Fall Ramsey entlasteten Zeugen Chapman, die einen anderen Mann zum Zeitpunkt des Todes in der Nähe der Leichenfundstelle gesehen hatten. Neu waren diese Erkenntnisse nicht, jedoch bisher unberücksichtigt geblieben. Daher erwägt Chapman laut seinem Anwalt Frank Goldsmith noch eine Klage gegen den Bundesstaat North Carolina. Seine damaligen Anwälte kann er dagegen nicht belangen. Thomas Partwood verstarb 2003 an den Folgen seiner Alkoholsucht und Robert Adams wurde mittlerweile aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Beide haben durch ihr mangelndes Engagement die Verurteilung des Unschuldigen mitzuverantworten.

Heute ist Glen Edward Chapman 40 Jahre alt und die Welt eine andere. Seine damalige Freundin ist tot, ebenso wie seine Mutter und seine Großmutter. Seine Schwestern sind weggezogen, seine Nichten hat er noch nie gesehen, und Freunde haben sich von dem vermeintlichen Mörder abgewandt. 14 Jahre hat sich die Welt ohne ihn gedreht, völlig unverschuldet, und nun muss er sich in ihr zurechtfinden. Sandwiches mit Mortadella und Käse gibt es noch, an Handytelefonate wird er sich gewöhnen. Jetzt sucht man die wahren Mörder, für Chapman zu spät.

JULIANE WIEDEMEIER