Sicherheit wiegt schwer

Vor einigen Fahrradschlössern kapitulieren selbst die Picking-Spezialisten: „Drehscheibenzuhaltungen“ sind so gut wie unüberwindlich. Wer sein Velo liebt, sollte statt Draht- ein Bügelschloss nutzen – und anschließen, statt nur abzuschließen

VON HELMUT DACHALE

Die junge Frau steht im Fachgeschäft, ein neues Fahrrad soll es sein. Doch gedanklich ist sie noch bei ihrem letzten. „Fünfzehn Minuten war ich einkaufen, höchstens! Und natürlich habe ich mein Fahrrad abgeschlossen, war ja teuer genug.“ Da kann der Händler nur grinsen.

Abschließen reiche nicht, anschließen sei die erste Radler-Pflicht. Und womit? Auch das ist kein Geheimnis. Die Botschaft der Stiftung Warentest, die sich in regelmäßigen Abständen über Fahrradschlösser hermacht, lautet: Dünne Drahtseile im Plastikmantel lassen sich mit einem Seitenschneider so fix durchtrennen wie eine Krakauer mit dem Messer.

Bügelschlösser aus solidem Stahl und mit ausgefuchstem Schließmechanismus müssen es sein, Panzerkabel kommen ebenfalls noch in Betracht (die aktuellen Ergebnisse: Juli 2007). Gleiches verbreitet die VdS Schadenverhütung, ein Unternehmen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Die Sache mit der Sicherheit könnte also überschaubar sein – wenn es da nicht die immer wieder aufflackernden Gerüchte von der unheimlichen Picking- Gefahr gäbe.

Lockpicking ist das zerstörungsfreie Öffnen von Schlössern mit filigranen Werkzeugen, die an chirurgische Instrumente erinnern. Es ist „eine hohe Kunst“, so formulieren es die „Sportsfreunde der Sperrtechnik – Deutschland e. V“. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Vereinigungen der Sportsfreunde, die das Picking hierzulande bekannt gemacht haben, sind ehrenwerte Clubs. Schlösser aufzusperren – und zwar so schnell wie möglich – betreiben sie als Leistungssport. In diesem Jahr finden bereits die 12. Deutschen Meisterschaften statt – und wieder dürfte eine große Auswahl von Schlössern bereitliegen, allerdings wiederum kein Fahrradschloss.

Aber immerhin, die sportiven Knacker sind sich nicht zu schade, Fahrradschlösser zu testen. Und so rät auch Steffen Wernéry, der Sportsfreunde-Präsident: „Kein Drahtschloss benutzen, immer ein gutes Bügelschloss, auch wenn es etwas mehr wiegt.“ Und die besonders guten Bügelschlösser hätten im Innern etwas Unüberwindliches, was in Türschlössern äußerst selten sei: Drehscheibenzuhaltungen. Das bestätigt Torsten Mendel vom Hersteller Abus nur allzu gern: „Diese Schließtechnologie haben wir uns patentieren lassen. In Deutschland sind wir der einzige Produzent, der sie einbaut.“

Damit ausgestattet sind unter anderem Abus’ derzeitiges Flaggschiff, das „Granit X-Plus 54“, sowie das „Varedo 47“, Sieger bei Stiftung Warentest. Drehscheibenzuhaltungen seien mit normalen Picking Tools, die über seinen Verein, aber auch übers Internet zu beziehen sind, nicht in den Griff zu bekommen, anerkennt Wernéry. „Nur mit Spezialwerkzeugen, die zum jeweiligen Schloss passen müssten, und die müsste man sich dann selbst anfertigen.“ Aber, so seine Entwarnung, „die Quote derer, die das können, ist sehr gering“.

Überhaupt scheint man in Kreisen der Sperrtechniker die eigenen Qualifikationen für ziemlich exklusiv zu halten. Profunde theoretische Kenntnisse und vor allem hartnäckig antrainierte Fingerfertigkeiten – kein Wunder, dass einer der Titelträger ansonsten als Zahnarzt arbeitet. Wie soll der kleine Fahrraddieb da mithalten können? Das entspricht den – wenn auch spärlichen – Erkenntnissen der Polizei: Wenn es kriminelle Langfinger überhaupt wagten, ein Bügelschloss anzugehen, dann fast immer mit schwerem Gerät, etwa mit einem Wagenheber.

Gunnar Fehlau, Autor mehrerer Fahrradbücher, rät dennoch zur Nummer sicher: Damit das Hantieren „mit den gefürchteten Picking-Werkzeugen erschwert wird“, sollte die Schlüsselöffnung stets nach unten weisen, also schlecht zu erreichen sein. Und Fehlau weiß noch mehr: „Ein Fahrrad gehört angeschlossen, und zwar an einen Gegenstand, der mindestens genauso stabil ist wie das Schloss selbst.“