Rückenwind für den Radverkehr

Die Trendforschung sieht das Fahrrad bereits auf der Überholspur, der Fachhandel immerhin Quantensprünge en détail. Bis das Velo zum selbstverständlichen Fortbewegungsmittel für alle Lebenslagen wird, kann es aber noch ein wenig dauern

VON HELMUT DACHALE

Dreißig Jahre nach der Wiederentdeckung des Radfahrens ist es so weit: Das Auto bleibt stehen und wird vom Fahrrad abgelöst, womöglich noch in diesem Jahr. Wegen des Klimawandels, so Matthias Horx in seinem Trend-Report 2008. Die neue Mobilität sieht aus wie gemalt, wie auf den bunten Bildern im Waldorf-Kindergarten.

Ganz vorne glaubt Zukunftsforscher Horx das alte Klapprad, auferstanden aus den Kofferräumen der Pkws, wo es Ende der Siebziger abgelegt und vergessen worden ist. Doch jetzt feiere es Auferstehung als High-End-Produkt, das als solches natürlich seinen Preis haben muss. Rund 3.500 Euro soll zum Beispiel das „On“ von Cannondale kosten. Momentan nur ein Prototyp, wird es doch schon als „echter Hingucker“ präsentiert. Erkennbar sind immerhin ein völlig aus dem Rahmen fallendes Gestänge und eine freischwebende Sattelschwinge.

Der Begriff „Klapprad“, von Horx hartnäckig verwendet, gilt in der Branche übrigens als Unwort. Man hat sich auf „Faltrad“ geeinigt, weiß aber auch, dass diese Dinger keine Renner sind. Minimalistische Laufräder, Gestänge wie von der Streckbank, so etwas ist gewöhnungsbedürftig. Marktanteil höchstens 1 Prozent, vermeldet der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), Steigerung unwahrscheinlich. Was überhaupt nicht schlimm wäre, schließlich gibt der Markt genügend anderes her.

Auch in diesem Jahr wird sich die Nachfrage auf die voll ausgestatteten Stadt- und Trekkingräder sowie die verwandten All-Terrain-Bikes konzentrieren. 70 Prozent aller in Deutschland verkauften Modelle gehören diesen Typen an. Bedenklicher: Wie immer die Fahrräder auch beschaffen sind, statistisch gesehen leiden sie unter Beschäftigungsmangel.

Lediglich 9 Prozent aller Wege, so steht’s im aktuellen Fahrradbericht der Bundesregierung, werden in Deutschland radelnd zurückgelegt. In Kilometern ausgedrückt: ganze 300 Kilometer pro Jahr und Bundesbürger. Da sind die Niederländer mit 27 Prozent sehr viel trittfester. Und niemand, außer einem Trendexperten vielleicht, geht davon aus, dass allein durch Appelle, weniger Kohlendioxid in die Luft zu blasen, die Deutschen zu Holländern werden. Also steht auch in diesem Jahr ein umfangreiches Animationsprogramm ins Haus. Die aufwändigste Aktion dürfte wieder mal „Mit dem Rad zur Arbeit“ sein. ADFC, AOK und ein breiter Unterstützerkreis fordern auf, wenigstens an 20 Tagen (zwischen 1. Juni und 31. August) den Arbeitsweg tretend zurückzulegen. 2007 machten das bundesweit 130.000 Menschen, in diesem Jahr wollen die Initiatoren „noch mehr bewegen“ (Anmeldungen unter www.mit-dem-rad-zur-arbeit.de). Armin Falkenhein, der ADFC-Gesundheitsbeauftragte, gibt sich optimistisch: „Die Erfahrungen zeigen, dass sich Jahr für Jahr die Vorteile bei immer mehr Leuten herumsprechen und damit die Teilnehmerzahlen steigen.“

Um mehr Leute aufs Rad zu bringen, favorisieren Handel und Hersteller naturgemäß Neues bei der Technik und dem Design. Und dabei ist der Kunde anscheinend auf mehr Sachverstand denn je angewiesen. Denn weniger das spektakuläre Erscheinungsbild sei zurzeit angesagt, sind sich die Experten weitgehend einig, der technische Fortschritt stecke vielmehr im Detail. Ob Beleuchtung (siehe auch „Bumm macht peng“), Schaltung oder Bereifung, hier gäbe es „unglaubliche Entwicklungen“, schwärmt zum Beispiel Albert Herresthal, Geschäftsführer des VSF (Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe), dem gut 200 Fachgeschäfte angeschlossen sind. Beim Licht hat er sogar „einen Quantensprung“ ausgemacht.

Allerdings: Wer sich so ein Alltagsrad zulegen möchte – ungefaltet, mit konventionellem Rahmen, aber hochwertiger Ausstattung –, braucht zwar keinesfalls 3.500 Euro auf den Tisch legen. Doch den Durchschnittspreis des letzten Jahres (440 Euro im Fachhandel) sollte man schon vergessen. Selbst dann, wenn die Mehrwertsteuer fürs Fahrrad, wie derzeit von Europapolitikern gefordert, bald reduziert werden würde. Was soll’s, in jedem Fall kostet es erheblich weniger als ein Gebrauchtwagen. So gesehen, hat das Fahrrad doch die Nase vorn.