Ein Unterwasserwunder

Die Philippinen gehen sorglos mit ihrem marinen Ökosystem um. Damit mehr Tauchtouristen kommen, soll nun der Umweltschutz verbessert werden – bis jetzt passierte das nur auf dem Papier

Sie werden als Monster des Meeres dargestellt, schaurige Seefahrermärchen ranken sich um sie – dabei sind sie längst Opfer ihres Negativmythos. Haie. Sie werden verfolgt und industriell vernichtet: Ihre Flossen gelten in Asien als kraftspendende, gesunde Spezialität, die teuer bezahlt wird. Ganze Fangflotten haben sich auf die Beute von Haifischflossen spezialisiert. Die Flossen werden abgeschnitten, und der lebende Tierkörper wird ohne Flossen ins Meer zurückgeworfen, wo er elend verendet. Die Wahrnehmung der Haie als bedrohliche Killer erleichtert ihre industrielle Ausrottung. Haie haben keine Lobby. Der Film „Sharkwater“ zeigt blutige Bilder des Abschlachtens genauso wie wunderschöne, friedliche Unterwasseraufnahmen mit Hai und Mensch.

Rob Stewart, der kanadische Regisseur, ist Biologe und Taucher. Und er liebt Haie seit seiner Kindheit. Leidenschaftlich. Eigentlich wollte er ein Unterwasserabenteuer mit seinen Titelhelden drehen, herausgekommen ist ein moderner Piratenfilm. Eine Dokumentation, die Einblick gibt in die internationalen Machenschaften einer finanzstarken Haimafia. Der Filmemacher befährt die Küste vor Costa Rica und Guatemala mit dem Naturschützer Paul Watson von der Sea Shepherd Conservation Society (SSCS). Ihr Einsatz zum Schutz der Haie auf der „Ocean Warrior“ beginnt mit einem Zusammenstoß mit Haiwilderern vor der Küste Costa Ricas. Und obwohl die „Ocean Warrior“ dort auf Einladung des costa-ricanischen Präsidenten kreuzt, wird die Besatzung gerichtlich verfolgt und mit Kanonenbooten eingeschüchtert und vertrieben. „Sharkwater“ zeigt, wie die Haipopulation in den Meeresschutzgebieten vor dem costa-ricanischen Cocos Island und den Galapagosinseln systematisch zugrunde gerichtet wird – durch Ausbeutung und Korruption. Der Film entlarvt ein Netz von Kriminalität und gnadenloser Naturzerstörung. Allein in den letzten 50 Jahren ist die Haipopulation weltweit um 90 Prozent geschrumpft.

„Sharkwater“ dokumentiert natürliche Schönheit und menschengemachte Grausamkeit sowie das Engagement Einzelner gegen die Profitsucht internationaler Mafiastrukturen. Und er zeigt, wie der Einsatz weniger doch etwas bewegt: In Costa Rica immerhin gingen die Leute nach Berichten über die „Ocean Warrior“ gegen die organisierte Tötung der Haie auf die Straße. EDITH KRESTA

Der Film „Sharkwater – Wenn Haie sterben“ ist ab 10. April in den Kinos www.sharkwater.de

VON HILJA MÜLLER

Es kommt nicht oft vor, dass die Philippinen positive Schlagzeilen machen. Doch Ende vergangenen Jahres berichteten Medien weltweit über eine kleine Insel des südostasiatischen Archipels, oder besser über die sie umgebenden Gewässer. Denn nirgendwo sonst auf unserem Planeten findet sich ein solcher Artenreichtum unter Wasser wie vor Verde Island, der „grünen Insel“. Das hatten Wissenschaftler der Old Dominion University und des Smithsonian Institute (beide USA) unter Mitwirkung von Conservation International (CI), einer Umweltschutzorganisation, in einer zweijährigen Studie herausgefunden. „Superschöne Steilwand mit absolut intaktem Riffleben. Viele Schnecken, noch viel mehr Skorpionfische, die teilweise ins Lila gehen, gigantische Drückerfische sind unterwegs. Immer wieder sieht man große Schwärme von Barrakudas in der Strömung stehen!“, schwärmen Taucher.

„Es ist das Epizentrum an mariner Biodiversität weltweit, ein echtes Unterwasserwunder“, jubelte Professort Kent Carpenter, der seit 30 Jahren die philippinischen Gewässer untersucht. Laut der Studie bieten mehr als 300 Korallenarten für 60 Prozent der weltweit bekannten Meeresfische einen perfekten Lebensraum. „Man kann es als das marine Gegenstück zum Amazonasbecken bezeichnen“, so Carpenter. Zugleich warnte der Wissenschaftler eindringlich: „Leider ist die Unterwasserwelt in den Philippinen in höchstem Maße gefährdet.“

In der Tat haben die insgesamt 27.000 Quadratkilometer umfassenden Korallenriffe des Inselstaates in den vergangenen Jahrzehnten sehr gelitten. Lediglich 5 bis 10 Prozent gelten als intakt. Armut und unkontrolliertes Bevölkerungswachstum förderten zerstörerische Fischereitechniken der Küstenbewohner. Zwar wurde der Einsatz von Dynamit und Gift bereits vor Jahren verboten, aber wie so oft existiert Umweltschutz vor allem auf dem Papier.

Der Ritterschlag durch die amerikanischen Experten weckte indes die Politik auf. Die an Ökologie ansonsten wenig interessierte Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo unterschrieb zur Überraschung vieler Umweltschützer im November 2006 einen Erlass, der die Ausweisung von Schutzzonen rund um Verde Island sowie die Gründung einer Task Force vorsieht, die einen Masterplan für die Region erstellen soll.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten. Das „visionäre Handeln“, dass Arroyo vom CI-Vorsitzenden Peter Seligmann attestiert worden war, hat sich als Publicity-Gag erwiesen. Riki Sandalo vom WWF Philippines (World Wide Fund for Nature) ist ernüchtert. „Es gab ein Treffen mit Umweltminister Angelo Reyes, das war so im Februar. Damals bat er uns und andere NGOs, in der Task Force mitzuarbeiten. Das war das Letzte, was ich aus Manila gehört habe.“ Täglich hat der Umweltkämpfer vor Augen, was die einmalige Unterwasserwelt von Verde Island akut bedroht: Fähren, Containerschiffe und Tanker in allen Größen und Roststufen schippern dicht an der Insel vorbei. „Wenn hier ein Öltanker leckschlägt, ist alles tot“, warnt Sandalo. Sein Vorschlag: „Wir können zwar nicht alle Schiffe umlenken, aber doch für einen geregelten Verkehr sorgen.“ Zudem müsse die Küstenwache besser ausgestattet werden, damit sie das illegale Ablassen von Restöl oder Chemikalien aus den Tankern wirkungsvoll bekämpfen könne.

Potenziell gefährdet sind die Korallenriffe um Verde Island auch durch den Haupterwerb der etwa 7.000 Bewohner, den Fischfang. Für den internationalen Aquarienmarkt werden Nemos (Anemonenfischen), Doktor- und Falterfische en masse aus dem azurblauen Wasser geholt. Ein lukrativer Job, für einen Engelsfisch gibt es immerhin rund acht US-Dollar. Das ist mehr als der offiziell vorgeschriebene Tageslohn in Manila.

Die effizienteste und auf den Philippinen übliche Methode, um Aquarienfische zu fangen, ist der Einsatz von Zyanid. Ins Meer geschüttet, betäubt es alle Fische im Umkreis, die dann nur noch ins Boot geschippt werden müssen. Da kurzfristig die Kasse stimmt und man nicht an langfristigem Einkommen interessiert ist, werden die Zerstörungen ignoriert, die das Gift am Korallenriff anrichtet. Nach Schätzungen werden 80 bis 90 Prozent der Aquarienfische auf den Philippinen mit dieser illegalen Methode gefangen. Offiziell beteuern die Fischer aber, lediglich mit Netzen und Angelruten zu arbeiten. „Um die schwarzen Schafe zu erwischen, brauchen wir dringend Aufpasser“, mahnt Sandalo. Hilfe erhofft sich der WWF-Mann von Touristen, denn „Taucher und die lokalen Guides haben natürlich Interesse, die Unterwasserwelt zu schützen. Ausländische Urlauber können Druck auf unsere Regierung ausüben, indem sie zu Hause Alarm schlagen. Und sie bringen Geld auf die Insel, so dass nicht aus Not mit verbotenen Mitteln gefischt werden muss.“ Die Rechnung könnte aufgehen: Die „grüne Insel“ liegt an der Spitze des so genannten Korallen-Dreiecks zwischen Indonesien, Malaysia und den Philippinen. Taucher aus aller Welt schwärmen von dieser Region. Verde Island war lange ein Geheimtipp, doch seit 1999 sind dort drei einfache Ressorts entstanden, die immer gut gebucht sind. Hinzu kommen Tagesgäste von den nahe gelegenen großen Inseln Mindoro und Luzon.

Ob es gelingt, den erwarteten Touristenansturm in verträglichem Maße zu halten, steht auf einem anderen Blatt. „Auch das müsste im Masterplan reguliert werden“, sagt Sandalo und fügt nach einer kurzen Pause an: „Wenn es den je geben wird.“