die taz vor zehn jahren über die rolle von rudi dutschke für „1968“
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Marxisten geht es fast immer sehr gegen den Strich, die Rolle einmaliger, unverwechselbarer Persönlichkeiten anzuerkennen, und ich weiß bis heute nicht, weshalb ich das Besondere an Rudi Dutschke wahrnehmen und akzeptieren konnte, als er mit seiner Gruppe in den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) Westberlins kam.

Unbestreitbar hat Rudi Dutschke seine Zuhörer durch die Suggestivkraft seiner Rede in seinen Bann gezogen – und trotzdem wäre es verfehlt, es vor allem seiner heute fremd anmutenden Rhetorik zuzuschreiben, daß viele bei ihm politische Orientierung suchten und fanden. (…) Politische Positionsbestimmungen drückten sich bei Rudi auch und vor allem darin aus, wem er sich zuwandte, wohin er reiste, wo er ohne taktische Manöver die Konfrontation suchte. Seine Aktivitäten und Begegnungen, wie sie zuletzt von Gretchen Dutschke in ihrer Biographie festgehalten worden sind, enthalten schon ein politisches Programm. So war der Besuch in Prag im März 1968, gleich nach dem Westberliner Vietnam-Kongreß, eine Solidaritätserklärung für die tschechischen Reformkommunisten und bedeutete zugleich, daß die Verurteilung der US-amerikanischen Verbrechen in Vietnam nichts mit einer Unterordnung unter die sowjetische Strategie zu tun hatte.

Gegen alle Bündnisangebote und -versuchungen hat Rudi auf der Unabhängigkeit einer neuen sozialistischen Linken bestanden. Dies schien vielen damals ein Mangel an Realismus angesichts einer Situation, die angeblich die Anlehnung der Schwachen an starke Partner verlangte.

Heute sehen wir, daß der (…) als voluntaristischer Spinner diffamierte Rudi in Wahrheit ein großer Realist war – mit seinem ausgeprägten Sinn für die richtige Stunde politischer Intervention und für die Schwächemomente jeder herrschenden Ordnung. Klaus Meschkat

taz vom 11. 4. 1998