SPD entsorgt sich selbst

Niedersachsen-SPD im Clinch: Zur Aufarbeitung des Wahldebakels attackiert Bundesumweltminister Gabriel aus Braunschweig nun den Bundestagsabgeordneten aus Hannover, Gerd Andres

VON KAI SCHÖNEBERG

Ein Parteibuch eint sie noch, aber die Polit-Granden der niedersächsischen SPD reden nicht mehr mit-, sondern nur noch übereinander. Einen weiteren Höhepunkt im Clinch über die Lehren aus dem Wahldebakel vollbrachte der Braunschweiger SPD-Bezirkschef, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, als er am Donnerstag Gerd Andres, Ex-Staatssekretär im Arbeitsministerium, attackierte: Das Ziel des Bundestagsabgeordneten Andres sei die „öffentliche Provokation und personelle Konfrontation“, ätzte Gabriel, Andres‘ Verständnis von Politik „zentralistisch und letztlich technokratisch.“ Aus den „persönlichen Angriffen“ von Andres spreche „sicher auch viel Frust“ über dessen „Entlassung“ aus dem Berliner Ministerium 2007. Gabriel: „Dafür muss man wohl Verständnis haben.“ Eine Hinrichtung.

Dafür muss man wissen: Andres kommt aus Hannover, einem SPD-Bezirk, der der Braunschweiger Sozialdemokratie in tiefster Feindschaft verbunden ist. Hannover und Nord-Niedersachsen gegen Braunschweig und Weser-Ems, das führte schon zu Verwerfungen, als nach dem Sturz des skandalbelasteten Braunschweigers Gerhard Glogowski Gabriel zum Ministerpräsident gekürt wurde. Zweiter Sieger 1999: Wolfgang Jüttner aus Hannover, der im Januar die Wahl mit dem niedrigsten SPD-Ergebnis seit dem Krieg vergeigte. Trotz öffentlich zur Schau gestellter Einmütigkeit bei einer Klausur auf Borkum vor wenigen Tagen halten viele Abgeordnete Jüttner als Fraktionschef nicht für die erste Wahl. Offene Rechnungen lassen nun alte Wunden aufbrechen. Vielen in der SPD dräut, dass das Ergebnis der derzeit tagenden „Zukunftskommissionen“, die Bezirke und Landespartei schlagkräftiger formen soll, dürftig ausfallen könnte.

„Sigmar muss zurück in den Schuldienst“, zürnt ein hoher Würdenträger der Hannoverschen SPD über den einstigen Lehrer aus Goslar. Auch Thomas Oppermann und Stephan Weil gehören zum Bezirk Hannover. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Berliner SPD-Fraktion und der OB von Hannover hatten bereits vor Wochen den Zustand der Niedersachsen-SPD als „niederschmetternd“ bezeichnet. Es sei falsch, dass Landesparteichef Garrelt Duin sein Mandat im Bundestag behalten habe.

Genau, pflichtete ihnen Andres am Vortag in einem Papier bei, das Gabriel als „Teil des Problems“ ausmachte. Statt wie bisher „im Gekungel der Bezirksvorsitzenden im Hintergrund die Fäden zu ziehen“, solle Gabriel lieber „mithelfen, eine starke niedersächsische SPD zu bilden.“ Derzeit gebe es vier Bezirke, von denen jeder „sein Gärtchen hegt und sich nicht reinreden lässt“, schrieb Andres. Sie müssten „endlich zurecht gestutzt“ werden.

„Das Heil liegt nicht in der Zentralisierung in Hannover“, antwortete Gabriel. Ohne Bezirke verliere die SPD im Flächenland Ehrenamtliche, die dann keinen Ansprechpartner mehr vor Ort hätten. Er habe jedoch nichts dagegen, den bislang machtlosen Landesverband mit Hauptamtlichen zu stärken.

Als „Signale nach innen“, wertet ein SPD-Experte die Zerfleischung der Partei. Zudem könne Gabriel am wenigsten an der Entmachtung des eigenen Sprengel liegen: Einerseits brauche der Minister eine schlagkräftige Basis, andererseits habe der relativ wohlhabende Braunschweiger Sprengel bei der Reform am meisten zu verlieren.

Der Fachmann sieht im Gebaren der SPD-Granden nichts als Taktik: „Ohne Krachen und Zischen keine Legitimation für eine neue Struktur.“