BERLINER PLATTEN
: Joan Baez wohnt hier nicht mehr: Bobby & Blumm haben sie aus ihrer Folk-Hütte vertrieben, während Jessica Gall auf die Barjazz-Klischees hereingefallen ist

Das Schöne ist ja, dass Schönheit so unterschiedlich entstehen kann. Manchmal führt der Weg über die barocke Pracht, über das Üppige, mal aber auch über Reduktion und das Einfache. Bobby & Blumm wählen für ihr Debüt „Everybody Loves“ Letzteres. Ellinor „Bobby“ Blixt singt mit klarer Stimme, ohne Koloraturen oder dem Diktat des Gefühligen geschuldete Mätzchen. Weder zerbrechlich noch kraftvoll, nahezu geschäftsmäßig wirkt der Gesang der gebürtigen Schwedin, fast wie eine Demonstration gegen das Selbstentäußerungsgebot des Soul. Ihr Partner F. S. Blumm, einer der renommiertesten Soundkonstrukteure der Stadt, bettet diese selbstbewusste, aber bewusst schmucklose Stimme in eine denkbar spartanische Vertonung. Selten setzt er mehr als ein Instrument ein: Mal bleibt die akustische Gitarre allein, mal eine traurig trötende Orgel, mal werden sie unterstützt von einem Glöckchen oder einem erratischen Pfeifen. Das alles ist herzlich unspektakulär, abgenagt bis aufs musikalische Gerippe, und dann gräbt sich auch noch kaum ein Song mit Hilfe einer eingängigen Melodie ins geneigte Hörerbewusstsein.

Nein, „Everybody Loves“ ist nicht mit Maßstäben des Pop zu fassen. Man hört, dass Frank Schültge Blumm, wie er mit vollem Namen heißt, eher aus der elektronischen Musik kommt. So entsteht eine absurde Situation: Bobby & Blumm spielen zwar Lieder, die wirken wie Folk, die ganz eindeutig Song-Strukturen kennen und gewisse bekannte Klischees bedienen. Aber irgendwie haben es die beiden geschafft, der Joan Baez jede Joanbaezhaftigkeit auszutreiben. Stattdessen interessiert sich diese Musik allein für ihren Klang und die Räume, die dieser füllt. Aufgenommen in einem Holzhaus am nördlichen Stadtrand von Berlin, scheint man nun tatsächlich jedes Astloch in den Wänden hören zu können.

Um zu illustrieren, wie Ähnliches dann doch ganz anders enden kann, dazu kann man als Kontrast „Just Like You“ hören. Auch Jessica Gall, in Berlin geboren und mit einem Abschluss der Hanns-Eisler-Hochschule ausgestattet, übt sich in Simplizität. Ihre Band rührt kaum einen Finger, wenn sie den klassischen Popjazz spielt, wie ihn Norah Jones zum Millionenseller gemacht hat. Schlagzeuger Martell Beigang rührt mit dem Besen, und Keyboarder Bene Aperdannier, Gitarrist Jo Ambros und Edward Maclean am Bass setzen ihre Töne in respektvollem Abstand voneinander. Doch die Reduktion, die neben Eigenkompositionen auch Klassiker wie John Lennons „Imagine“ erfahren, gerät dann doch immer wieder zum Barjazz-Klischee wie in „Communication“. Doch in seinen besten Momenten, beispielsweise bei der Coverversion von „Should I Stay Or Should I Go“, in der das Original von The Clash nur mit sehr viel Fantasie wiederzuerkennen ist, erwächst aus dieser dramatischen Transparenz tatsächlich eine ganz eigene Intensität. So gelingt es, die eigentlich schon viel zu oft wiedergekäuten Versatzstücke aus dem Jazzfundus doch tatsächlich noch mal neu aufscheinen zu lassen. Und dann entsteht die Schönheit aus der Tarnung des Überflusses. THOMAS WINKLER

Bobby & Blumm: „Everybody Loves“ (Morr Music/Indigo) Konzert: Sa., Ausland, 21 Uhr

Jessica Gall: „Just Like You“ (Sony) Konzert: Mi., Grüner Salon, 21 Uhr