„Asien gab Europa Starthilfe“

Ilja Trojanow hat sich Großes vorgenommen. Die von ihm kuratierte Lesereihe „Re Asia – Avatar“ soll Asien als zivilisatorischen Urkontinent herausstellen. Ein Gespräch über die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen ferner Vergangenheit und Moderne

Ilja Trojanow, geboren 1965 in Sofia, hat afrikanische Literatur übersetzt, ein Essay mit einem indischen Autor verfasst und eine Anthologie mit so genannter „Migrantenliteratur“ herausgegeben – für die taz schreibt er regelmäßig für das „Schlagloch“ auf der Meinungsseite. Sein erster Roman war von der Flüchtlingsgeschichte seiner Eltern inspiriert, es folgten unter anderem ein Buch über seine Wiederbegegnung mit Bulgarien und eine Reportage über eine Pilgerreise nach Mekka. Für das Haus der Kulturen der Welt hat Ilja Trojanow nun die Literaturreihe „RE ASIA – Avatar. Asiens Erzähler“ (16.–20. April) kuratiert, bei der es um die Durchlässigkeit zwischen Moderne und Mythos und der zwischen Ost und West geht. Es lesen unter anderem Yang Lian (China/Großbritannien), Shashi Tharoor (Indien) und Raoul Schrott (Irland/Österreich).

Programm unter www.hkw.de

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Herr Trojanow, Sie stammen aus Bulgarien, sind in Afrika aufgewachsen, haben in Deutschland studiert und Bücher verlegt. 1999 sind Sie nach Bombay umgezogen und 2003 nach Kapstadt – und Sie haben viel über diese Ortswechsel geschrieben. Würden Sie sich selbst als Grenzgänger zwischen den Welten bezeichnen?

Ilja Trojanow: Da muss ich Sie leider korrigieren. Ich habe nie über meine „Ortswechsel“ geschrieben – im Gegenteil, ich versuche so wenig wie möglich über meine Befindlichkeiten zu schreiben. Ich habe in verschiedenen Ländern gelebt, nicht immer freiwillig. Die Flucht aus dem kommunistischen Bulgarien, die Flucht aus dem Auffanglager in Italien, die Emigration nach Kenia wegen des Arbeitsplatzes, das alles waren Entscheidungen meiner Eltern, die von Not und Unterdrückung geprägt waren – ich bin also vielsprachig aufgewachsen und vielfältig konditioniert.

Und doch geht es bei Ihnen viel um den Ortswechsel als Motiv, oder nicht?

Als Erwachsener habe ich überall, wo ich gelebt habe, intensiv recherchiert und verschiedene Bücher geschrieben, die in mancher Hinsicht hybrid sind. Insofern interessiert mich das Hybride, das zwar oft als typisch für die globalisierte Welt ausgegeben wird, in Wirklichkeit aber seit je die Kulturgeschichte bestimmt.

Ist es dieses Hybride, um das es in der Literaturreihe geht, die Sie für das Haus der Kulturen der Welt organisiert haben?

Es geht darum, dass die asiatischen Literaturen in besonderem Maße die eigenen Legenden, Mythen und Epen aufgreifen und neu fassen, Traditionen also immer wieder adaptieren, um den aktuellen Befindlichkeiten und Bedingungen zu entsprechen, dass also die Grenzen zwischen ferner Vergangenheit und der unruhigen Moderne durchlässiger sind als bekannt.

Es scheint Ihnen aber auch um die Hinfälligkeit von Konstruktionen wie Abendland und Morgenland, Okzident und Orient zu gehen.

Konstruktionen sind per se nicht gültig im Sinne einer den Zeitgeist überdauernden Wahrheit. Und diese Konstruktionen sind historisch in besonderem Maße politisch instrumentalisiert worden und daher sinnentleert.

In der Streitschrift „Kampfabsage“ von Ihnen und dem indischen Autor Ranjit Hoskoté, der ebenfalls in Ihrer Reihe lesen wird, geht es darum, dass Europas Geistesgeschichte unter anderem aus Arabien und Indien stammt. Was fasziniert Sie an dieser Idee?

Dieser historische Essay zeigt viele vergessene Zusammenflüsse von scheinbar konträren oder gar feindseligen Strömungen und Traditionen auf, in dem Sinne, dass alles Trennende stets nur eine momentane Differenz ist.

Wenn selbst die Ilias, so eine These des eingeladenen Autors und Übersetzers Raoul Schrott, in Asien wurzelt, wie soll sich dann überhaupt noch europäische Identität selbst definieren?

Es ist doch eher beglückend zu erfahren, dass man mehr mit Asien gemein hat als bislang angenommen. Asien ist doch keine ansteckende Krankheit, sondern der zivilisatorische Urkontinent.

Was missfällt Ihnen an der landläufigen Denkgewohnheit, dass Asien als uralte Kulturregion der Mythen und Märchen aufgefasst wird?

Dass es falsch ist – die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht etwa sind komplex konstruiert und alles andere als naiv märchenhaft erzählt. Zudem haben sie der europäischen Prosaliteratur Starthilfe gegeben, siehe die Struktur von Chaucers „Canterbury Tales“ oder Boccaccios „Decamerone“.

In Ihrer Reihe sind mit Ko Un aus Südkorea, der lange Zeit Mönch war, und Yang Lian aus China, der vor seiner Flucht aus China ausgedehnte Reisen auf den Spuren der chinesischen Geschichte unternommen hat, auch ostasiatische Autoren vertreten. Wieso haben Sie diese Autoren ausgewählt?

Sowohl China als auch Korea haben gewaltige Brüche mit der Vergangenheit erlebt, sei es durch die totalitäre Kulturrevolution oder durch eine dramatische Amerikanisierung. Es ist spannend nachzuverfolgen, dass vor allem die chinesischen Exilautoren intensiv die klassische chinesische Poesie als inspirierende Landschaft durchwandern, im Falle von Yang Lian auch noch auf den Spuren von Ezra Pound.

In der abendländischen Welt wurden mehr noch als andere asiatische Länder China, Korea und Japan immer als das große Andere aufgefasst, als hoch entwickelte Parallelwelt. Ist es Zufall, dass in Ihrer Reihe kein Autor aus Europa auftaucht, der von seinem Umgang mit der Literatur Ostasiens berichten kann?

Raoul Schrott taucht auf, der ja auch ein Buch geschrieben hat, das überwiegend in der Gobi-Wüste spielt. Dirk Schlümer taucht auf, der sich als deutscher Regisseur intensiv mit der Ramajana beschäftigt und ich tauche auf, regelmäßig sogar … das reicht. Wenn man Gäste einlädt, sollte man selber weniger essen.