Darf man Aids spielen?

Die jüngste Aidsaufklärungskampagne: Prominente outen sich des Schockeffekts wegen als Aidsinfizierte … nur um das Geständnis im nächsten Satz wieder zurückzunehmen

ja

Es war eine große Perle aus der Prominenzkrone namens Hollywood, die Mitte der Achtzigerjahre dieser damals noch so strikt wie eilig tödlichen Infektion ein Gesicht gab: Rock Hudson bekannte, an Aids zu leiden. Der Mann, eine Art George Clooney der Fünfziger, enthüllte im gleichen Statement, schwul zu sein.

Die amerikanische Nation war blamiert: Man glaubte zuvor, einen Homo auf Anhieb erkennen zu können. Das waren tuntige Exemplärchen, die Ballett tanzen, aber eine Frau nicht küssen können. Hudson dementierte diesen Trugschluss – und fortan war eine Infektion mit dem HI-Virus nicht mehr verächtlich abzutun als „Schwulenpest“ oder als verdiente Strafe Gottes.

Ohne Prominente – die tausende von Homosexuellen vor ihren Karren spannten, damit die Pharmaindustrie sich auch Mühe gäbe, entweder einen Impfstoff zu entwickeln oder wenigstens Präparate, die ein Überleben ermöglichen – wäre das Aidsproblem niemals zum Objekt einer politischen Bewegung geworden. Promis, die am Grabe Hudsons weinten, scheuten sich später nicht, die rote Aidsschleife zu tragen, in erster Linie, um der Stigmatisierung der Infizierten einen moralischen Riegel vorzuschieben. Das Problem heute ist nur: Aids ist medikamentös zwar nicht heilbar, aber einzudämmen. Die Sterberate in den reichen Ländern ist nicht mehr exorbitant – die Möglichkeit, an einem Verkehrsunfall zu sterben oder an einem Herzinfarkt ist größer. Allein: Eine HIV-Infektion holt man sich beim Sex, und das betrifft fast alle. Deshalb sind in jüngster Zeit die Neuinfektionsraten auch wieder gestiegen.

Aids ist medial aus der Mode gekommen. Aufklärungsaktionen, die auf Vernunft setzen, haben in den letzten Jahren nicht gefruchtet – zumal in den, so die Expertensprache, bildungsfernen Milieus. Die Idee, eine neue Präventionskampagne mit solchen Prominenten zu besetzen, die in diesen Lebenswelten einen gewissen Kredit haben, ist vielleicht nicht perfekt. Aber sie ist besser als alles, was sonst noch an angeblich Gutem zu Fragen der Aufklärung existiert, etwa die Gratisverteilung von Kondomen. Prominente helfen, eine Gefahr zu erörtern, die real existiert. Sie tragen dazu bei, dass Aids nicht wieder das wird, was es vor 26 Jahren war: Eine Schwulenkrankheit, die keine Beachtung verdient, weil sie nur eine einer Minderheit ist – und weil die meisten sich wie Teile der Mehrheit fühlen, muss man sich auch nicht kümmern. Diese Kampagne bietet Identifikation ohne pädagogische Schwarzmalerei. Sie ist klug inszeniert – und sie hat die richtigen Promis, eben nicht die wohlfeilen Halbomas, die Sabinechristiansens unserer Aufmerksamkeitswelt, sondern MTV-Gesichter. Wer auf pure Sachlichkeit setzt, wird schon überblättert.

JAN FEDDERSEN

nein

Vor zwei Jahren hielt Showmaster Rudi Carrell, von seiner Krebserkrankung bereits geschwächt, eine schöne Rede bei der Verleihung eines Fernsehpreises. Er wusste damals, dass er nicht lange leben wird, die Zuschauer wussten es auch – und rechneten es ihm hoch an, dass er sich seinen Humor bewahrt hatte.

Nicht im Geringsten bewegend, sondern furchtbar platt dagegen die aktuelle Anti-Aids-Kampagne (zu sehen unter www.vergissaidsnicht.de), die mit vorgeblich todkranken Prominenten Aufmerksamkeit erlangen will. Das geht im Fernsehspot dann so: „Ich habe Aids“, sagt eine blasse, ernst schauende Katia Saalfrank. „… nicht vergessen“, schiebt sie dann irgendwann hinterher, und ein kleines Lächeln umspielt ihren Mund, denn in echt hat sie ja kein Aids, natürlich nicht! Puh, die tut nur so, will nur spielen, und das kann man auch noch mal auf der Kampagnen-Homepage nachlesen: „Wer das Wortspiel richtig deutet, kommt drauf, dass der kleine Nachsatz darauf hinweist, dass die Prominenten zwar keine ‚Bekenner‘ im realen Sinn sind, sondern als Gesicht dafür zur Verfügung standen.“

Ein Promi „bekennt“ sich also zu Aids, gerade wie zu einer Drogensucht oder einer kriminellen Vergangenheit. Das sollen wir als Zuschauer sehr mutig finden, vielleicht weil jeder Aidskranke sein Leben zu verlieren hat, ein prominenter Aidskranker aber auch noch – seinen guten Ruf?

Es liegt etwas Abstoßendes in diesem ewigen Gesichthinhalten der Prominenten, die sich hier mal eben als Aidskranke hinstellen, um – so will es der offizielle Kampagnentext – zu „schockieren“ und, natürlich, „wachzurütteln“. Zwar ist es nahe liegend, Fernsehgesichter wie MTV-Moderator Markus Kavka zu engagieren, um junge Menschen auf das Thema aufmerksam zu machen. Wenn es auch gleichzeitig Erfolg versprechend wäre – der Zweck heiligte in diesem Fall wohl auch den Griff in die Promibetroffenheitskiste, in der man auch die Designer-Shirts mit „Stoppt den Hunger!“-Aufschrift findet.

Wie immer bei solchen Publicity-Strategien bleibt auch das Thema Aids hier ein bloßes Schlagwort, in pseudoprovokanter Verpackung auch noch – als ob Aids irgendwie dringlicher werden würde, wenn jetzt sogar schon Prominente …?

Wie ruhig und wirkungsvoll dagegen die Kampagne für die Münchner Aidshilfe aus dem letzten Jahr. Da zeigen Plakate einen mit der Hand geschriebenen Liebesbrief: „Mein geliebter Schatz. Wo immer Du bist, da bin auch ich zuhause. Ich gehöre ganz Dir und werde Dich nie verlassen. Für immer, Dein Aids.“

Das Wachrütteln scheint also auch ohne krank spielende Promis und Pseudosolidarität zu funktionieren – auch wenn die das sicher nicht hören wollen.

LANA STILLE