: Es winken die himmlischen Reiter
Das „Left Behind“-Genre sorgt in den USA regelmäßig für Bestseller. Es handelt davon, wie die Guten von Gott in den Himmel entrückt werden. 2e bureau widmen sich unter der Regie von Ulf Otto in den Sophiensaelen der nahenden Apokalypse
VON CHRISTIANE KÜHL
Der Weltuntergang und das Prinzip der Serie gehen im Allgemeinen nicht besonders gut zusammen, schon aus rein zeitlichen Gründen. Für Tim LaHaye haben die Antipoden allerdings eine Ausnahme gemacht. Der amerikanische Ex-Pfarrer und Fundamentalist predigt seit Jahren den nahestehenden Untergang unserer verderbten Menschheit – er selbst, 82 Jahre alt, hat vor, ihn noch zu erleben – und fand doch Zeit, einen mittlerweile 16-bändigen Fortsetzungsroman über die Apokalypse zu schreiben. Auch für begleitende Audiobücher, Graphic Novels, eine Hörspielserie für „Christian Radio“, eine Teenagerromanversion sowie drei Kinoverfilmungen und diverse Making-of-DVDs hat die Endzeit bislang gereicht.
Tim LaHaye gehört mit über 60 Millionen verkauften Büchern neben John Grisham und Stephen King zu Amerikas bestverkaufenden Autoren – und man betet zu Gott, dass seine Leser, anders als der gläubige Autor, den evangelikalen Schrott gegruselt unter „Fiction“ verbuchen. „Left behind“ (auf Deutsch: „Finale“) verfasste LaHaye gemeinsam mit einem ehemaligen Billy-Graham-Assistenten. Von dessen 1965 erschienener fundamentalistischer Diagnose „Welt in Flammen“ findet sich einiges an christlicher Heilsgewissheit im Plot wieder.
Den Grusel demaskieren
Doch auch in die Gegenwart reichen die Überschneidungen: So protegiert einer der Darsteller in der Filmversion von „Left behind“ im richtigen Leben eine religiöse Website. All diese Fakten, Fantasien, Formate und ihre Spin-offs verwebt die Gruppe 2e bureau unter der Regie von Ulf Otto in den Sophiensaelen zu einem luziden Theaterabend. „Die Zeit, die bleibt“ ist Hörspiel, Drama, Melodram und Dokumentarspiel; es erzählt die „Finale“-Geschichte sowie die ihrer Vermarktung, demaskiert den moralischen Gruselplot und spielt gleichzeitig mit seiner unterhaltsamen Verführung. Da geht nicht nur die Welt unter, da werden wir auch gerettet. Und das tut doch auch mal gut.
Gleich zu Beginn des Abends wird christliches Wir-Gefühl geprobt. Die Zuschauer erhalten im Foyer Kopfhörer und Empfangsgeräte und sind fortan mit einer Stimme von oben, de facto aus dem dritten Stock, verbunden, die Nähe und Führung verspricht. „Hallo, Susanne, ich wusste, dass du kommst“, sagt sie in der Gewissheit, dass irgendeine Susanne sicher im Publikum sein wird, und schon ist das erste Wunder vollbracht. Im freundlichen Singsang brabbelt der Prediger unaufhörlich, bis alle gemeinsam hoch in den Hochzeitssaal laufen. Die Belohnung kommt sofort: „Dies ist das erste Bild“, so die Verheißung: „Der Aufstieg“. Oben finden wir den Körper der Stimme vor einem Stuhl kniend von verbleibenden Möglichkeiten und vertikalen versus horizontalen Kräften reden. Er spricht in ein bipolares Mikrofon an seinen Ohren, was bei der Radioübertragung in Stereo ein Gefühl vermittelt, als spräche er direkt in deinem Kopf: „We should have known better. But we didn’t.“
Symbole der Schuld
Während der folgenden zwei Stunden setzt das Publikum den Kopfhörer nicht ab. Vier Mikros auf der Bühne nehmen den Ton ab, nur eins davon ist als solches erkennbar. Die anderen sind verborgene Quellen, vor denen sich die Schauspieler in einer bestimmten Distanz platzieren müssen, um den gewünschten akustischen Effekt von Nähe respektive Ferne zueinander zu erreichen. Was zu sehen und zu hören ist, verläuft damit nicht synchron. Während der Soundtrack der Apokalypse als flüssiges Melodram erklingt, verweisen die Bilder auf seine billige, nichtsdestotrotz wirkungsmächtige Entstehung. Wie die Schauspieler mit großen quadratischen Fotos vor ihren Körpern hantieren, auf denen Porträts, Uniformen oder Flugzeuge zu sehen sind, hat durchaus seine eigene Schönheit. Sehr bizarr auch die Szene, in der ein Auschnitt des Films zum Original-Soundtrack nachgestellt wird und aus dem Geschehen heraus Schnitte kommentiert werden: „Ich bin ein Stück übrig gebliebene Torte. Aber auch ein Symbol. Für die Abwesenheit des Vaters. Für die Schuld. Deine, Rayford.“
Im zweiten Teil wird die Inszenierung etwas langatmig. Vielleicht weil sie, z. B. mit dem Verlesen eines endlosen schwulen Erweckungsmonologs, selbst zu moralisch wird, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen. Doch auch diese Qualen finden ein Ende: Am Schluss läuft das Publikum wie eine kleine Schafherde im Hof im Kreis und generiert gemeinsam vertikale Energie. We should have known better. But we didn’t. Von oben winken die himmlischen Reiter.
Bis 24. April, Sophiensaele
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