heute in bremen
: „Mein Nachbar ist ein netter Spinner“

Die Bremer Werkgemeinschaft ermöglicht psychisch Kranken „dezentrales Wohnen“. Heute vor 25 Jahren begann sie damit

taz: Frau Hüsing, hat sich der Blick auf psychisch Kranke in den letzten Jahren verändert?

Stefanie Hüsing, Bereichsleiterin des Betreuten Wohnens bei der „Bremer Werkgemeinschaft“: Als wir in Gröpelingen mit unserer Arbeit vor 25 Jahren anfingen, gab es ein Plakat auf dem stand: „Mein Nachbar ist ein netter Spinner“. Mittlerweile merken wir, dass die Menschen toleranter, offener und aufmerksamer sind. Sie haben sich an NachbarInnen gewöhnt, die ein bisschen anders sind und sprechen uns auch mal an, wenn sie glauben, dass Hilfe nötig ist.

Und wie sehen sich die Betreuten selbst?

Es geht nicht darum, zu sagen: Ich bin ein kranker Mensch. Sondern: Ich bin eben manchmal etwas anders. Damit muss man lernen umzugehen und herausfinden, was man braucht. Und das so früh wie möglich, bevor die Krankheit chronisch wird. Dabei begleiten wir die Menschen.

Wollen Sie die BewohnerInnen heilen?

Heilung ist hier ein schwieriger Begriff. Unser Ansatz ist, dass die Menschen lernen, mit der Erkrankung zu leben. Wir begleiten sie über Beziehung, bauen gemeinsam mit ihnen soziale Netzwerke auf und suchen eine sinnvolle Beschäftigung für sie. Je stärker die Leute eingebunden sind, desto besser geht es ihnen.

Geht es dann auch ohne Medikamente?

Wenn das alles funktioniert, dann beobachten wir, dass die BewohnerInnen auch weniger Medikamente brauchen. Die Medikation ist sowieso ein zweischneidiges Schwert. Die Menschen sind oft auf diese Mittel angewiesen, müssen aber dadurch mit starken Nebenwirkungen und Folgeschäden leben.INTERVIEW: TH