bücher für randgruppen
: Fotoreisen hin zu den Roma

„Sie können uns lehren, die Grenzen in uns aufzuheben und ein grenzenloses Europa zu schaffen.“ Mit üblichem staatstragendem Pathos führt Günter Grass in dieses farbenfrohe Fotobuch ein. Mit den Menschen, die „uns“ Entgrenzung lehren können, meint er die zwölf Millionen Roma und Sinti. Sie werden als „fahrendes Volk“ markiert, obwohl, das wird nachgefügt, viele ihrer Angehörigen aufgrund der Verfolgungen es gar nicht wagen würden, sich kenntlich zu machen.

Nun, eigentlich könnten sie selbst auch nicht sagen, was sie bewogen habe, sich für die Roma zu interessieren, leiten der dänische Fotograf Joakim Eskildsen und die schwedische Autorin Cia Rinne bescheiden ein. Das Duo bereiste einige ausgewählte Länder, in denen Roma und Sinti leben, präsentiert nun die in ihrer Reisenfolge entstandenen fotografischen Werke inklusive erläuternder Texte.

„Mit fözünk na?“ Was kochen wir heute?, seufzt Magda Karolyné in Ungarn. „Die Frage, die sie sich jeden Tag stellt, bevor sie sich eine Schürze umband und sich ans Zwiebel- und Knoblauchschälen machte.“ Der erste Satz aus dem Munde einer Roma klingt vertraut, nach Armut und guter alter Zeit. Fotograf Eskildsen schwärmt im WDR: „Die Leute sind mit ganz einfachen Dingen zufrieden. Das ist einfach wundervoll!“

Ein Wunder ist auch, wie es gelingt, angesichts des Elends den Betrachtern des Fotobandes so wenig Unwohlsein zu übermitteln. Gleich eingangs öffnet sich eine weite verschneite Fläche, so gestochen scharf, dass die Oberfläche des Bildes fast zu oszillieren scheint. Im Zentrum eine dunkle Gestalt, ein Mann mit Wollmütze, über seine Schulter balanciert er einen dünnen Baumstamm: Brennt da nicht schon das Lagerfeuer, ertönen da fremdartige Gesänge? Die Fotografien des Bandes sind von magischer Kraft, gestochen scharf scheinen sie alles bis in das kleinste Detail zu zeigen. Brillante Farbkontraste machen aus einer armseligen bemalten Bretterbude ein hochästhetisches Gemälde, ein Kunstwerk. Es ist dieser Hyperrealismus, der den Betrachtern hilft, angesichts der Armut eigene Leere zu füllen.

Die Darsteller wirken extrem körperlich, fast wie Skulpturen. Eskildsens Motive zeigen Kinder mit fröhlichen Augen beim Ballspiel auf einer staubigen Straße, wilde Blütenpracht über einem zerfallenen Schuppen, alte Menschen beim Tratsch, armselige Wohnungen mit Fernsehgerät. Das Bild eines oxidierten, zerkratzten Spiegels. Eier lagern auf dem Fernsehgerät neben Marienbildnissen. Schrottplätze, Müllhalden und neugierige Kinder mit zerzaustem Haar, dekorativ platziert hinter einem Pfahl. Vor einer Wellblechhütte telefoniert eine Frau mit dem Handy – eine moderne Variante des berühmten Fotos vom Inuit mit dem Grammofon?

Eskildsens Motiv für das Interesse an den Roma wird allmählich deutlich. Sie sind, gleich dem oxidierten Spiegel, zum künstlerischen Sujet einer recht konventionellen Sichtweise geworden. Die im Text beschriebenen persönlichen Beziehungen zu den Roma sind indes wenig spürbar. Aus den meisten Gesichtern und Haltungen lässt sich eher Distanz und Skepsis herauslesen. Bleibt dann letztlich mehr als Exotismus? Mit dem richtigen Licht, in der richtigen Situation sieht hier alles einfach wunderschön aus, für „uns“. Selten kam die Armut und das Fremde so attraktiv in unsere aufgeräumten Wohnzimmer. Doch das ist den „Romareisenden“ nicht vorzuwerfen. Sie lehren uns, dass eben alles genau so schön ist, wie wir es sehen wollen, können und möchten. WOLFGANG MÜLLER

Joakim Eskildsen, Cia Rinne: „Die Romareisen“. Steidl, Göttingen 2007, 416 Seiten, mit Fotos und CD, 60 Euro